„Die Gewichtszunahme ist für viele dramatisch“

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Psychopharmaka können starkes Übergewicht verursachen

In der Schweizer Zeitschrift Gesundheitstipp (07/08-2020) schreibt die Redakteurin Katharina Baumann über Gewichstzunahme und Psychopharmaka.

Psychopharmaka können massiv Übergewicht verursachen – dazu gehören Leponex, Remeron oder Seroquel geschrieben von Katharina Baumann

Viele Psychopillen machen dick. Das belastet die Betroffenen und erhöht das Risiko für Herzkrankheiten und Diabetes. Drei Patientinnen berichten.


«Jeden Monat kommt ein Kilo dazu» Evelyn Segessemann (39), Gossau ZH

«Ich hatte Depressionen und bekam zuerst das Medikament Olanzapin. Davon nahm ich in drei Wochen zehn Kilo zu. Dann kam Lithium: nochmals 30 Kilo in zwei Jahren. Jetzt nehme ich Trittico, Aripiprazol und Venlafaxin. Jeden Monat kommt ein Kilo dazu. Noch dieses Jahr muss ich eine Magenbypass-Operation machen lassen.»


«Ich esse stetig weiter» Andrea Suter (55), Bern

«Ich brauche leider viele Medidikamente, denn ich habe Depressionen, eine posttraumatische Belastungsstörung, Ängste und Panikattacken. Momentan nehme ich Remeron, Lithium und Efexor. Mit den Medis geht es mir zwar besser – aber die vielen Kilos ziehen mich wieder runter. Ich habe oft auf etwas Lust – ohne zu wissen, was es genau ist. So esse ich stetig weiter.»


«Ich war verzweifelt» Melina Wälle (32), Frauenfeld TG

«Am schlimmsten war es mit den Remeron-Tabletten: In einer Woche nahm ich sieben Kilo zu. Es war schrecklich. Wegen der Depression war ich sowieso nicht mehr selbstbewusst. Ich war verzweifelt: Nicht einmal mein Gewicht hatte ich noch unter Kontrolle. Ich wog schliesslich 125 Kilo. Nach einer Magenbypass-Operation sind es nun noch 82 Kilo. Sieben weitere möchte ich noch abnehmen.»


Evelyn Segessemann aus Gossau ZH spaziert jeden Tag zwei Stunden mir ihrem Hund. Sie ernährt sich gesund. Trotzdem wiegt sie 110 Kilo. Der Grund: Die 39-Jährige muss Pillen wie Venlafaxin und Trittico gegen Depressionen nehmen. Seit sie diese schluckt, hat sie ständig Hunger und isst zu viel. Sie sage: «Ich weiss nicht, ob es mir schlecht gehe, weil ich krank bin oder weil ich zu viel wiege.»

So geht es auch Andrea Surer aus Bern. Die 55-Jährige braucht seit Jahren die Mittel Remeron, Lithium und Efexor. Sie muss sie wegen Ängsten und Depressionen schlucken. Sie sage: «Insgesamt habe ich mehr als 200 Kilo zu- und wieder abgenommen.» Ihr Gewicht schwankt. Wiege sie viel, leider sie stark: «Wenn ich in den Spiegel schaue, <gruust>, es mich manchmal vor mir selbst.»

Die beiden Frauen sind keine Einzelfälle. Die deutsche Fachzeitschrift «Der Arzneimittelbrief» schrieb kürzlich: «Übergewicht ist eine besonders häufige Nebenwirkung vieler Psychopharmaka.» Die Mittel greifen in den Stoffwechsel des Gehirns ein. Sie verändern Vorgänge, die den Appetit und den Bewegungsdrang steuern.

Berüchtigt ist zum Beispiel das Schizophrenie-Medikament Zyprexa. Es löst bei vielen Heisshunger aus. Thomas Ihde, Stiftungsratspräsident von Pro Mente Sana, sagt: «Die Betroffenen haben eine Stunde, nachdem sie die Pille geschluckt haben, eine Hungerattacke.» Der deutsche Depressionsforscher Peter Ansari erklärt, bekannte Dickmacher seien auch Leponex oder Remeron. Solche Mittel gegen Psychosen beruhigen stark. Für die Seele ist das gut. Doch Ansari sagt: «Dadurch bewegen sich die Patienten viel weniger.» Auch das führt zu Übergewicht.

Medikamente wie Lithium und Seroquel können ebenfalls dick machen. Patienten schlucken sie gegen manische-depressive Psychosen. Sie können zu Heisshunger führen, das Sättigungsgefühl verschwindet. Gemäss «Arzneimittelbrief» nehmen Patienten mir Lithium pro Jahr durchschnittlich 4,5 Kilo zu. Der Psychiater Andreas Frei aus Liestal BL ergänzt: «Lithium führt häufig zu vermehrtem Durst.» Patienten stillen ihn oft mit Getränken, die viel Zucker enthalten.

«Sehr schwerwiegende Komplikation»

Die Folgen des Übergewichts: Das Risiko für Herzkrankheiten oder Diabetes Typ 2 steigt. Zudem belastet es die Betroffenen seelisch. Psychiater Thomas lhde sagt: «Für viele Patienten ist die Gewichtszunahme dramatisch.» Ansari erklärt: «Wenn Patienten zunehmen, sinkt ihr Selbstwertgefühl, denn oft nehmen sie so viel zu, dass sie mehrere Kleidergrössen überspringen. »

Dazu komme: Die Patienten können meist nichts dagegen tun. Ansari: «Manche essen sogar weniger und nehmen trotzdem zu.» Sie fühlen sich ausgeliefert und glauben nicht mehr daran, dass sie ihr Schicksal ändern können. Ansari: «Das ist eine sehr schwer wiegende Komplikation.» Schliesslich basiere fast jede Therapie darauf, das Selbstvertrauen der Patienten zu stärken.

Psychiater Ihde rät Patienten, bei Hungerattacken zum Beispiel Vollkorn-Knäckebrot oder Bananen zu essen. Sie enthalten Kohlenhydrate, die langsam und gleichmäßig ins Blut übergehen. Dadurch machen sie schneller satt. Nützt das nichts, sollten Patienten frühzeitig den Arzt darauf ansprechen, damit sie das Medikament wechseln oder sogar weglassen können. Ansari ergänzt «Wenn man Antidepressiva über lange Zeit einnimmt, schaden sie mehr, als sie nützen.» Deshalb rät er, solche Mittel nur ein paar Wochen einzunehmen. Menschen mit Schizophrenie müssen hingegen ihre Medikamente oft über längere Zeit einnehmen. Ansari: «Der Arzt sollte die Dosierung so weit reduzieren, dass die Patienten nicht weiter zunehmen oder das Medikament wechseln.»

Die Hersteller schreiben, Gewichtszunahme sei eine bekannte Nebenwirkung und in den Packungsbeilagen vermerkt. Zyprexa-Herstellerin Eli Lilly erklärt, Patienten sollen ihren Blutzucker regelmässig kontrollieren lassen. Otsuka, Herstellerin von Aripiprazol, beteuert, Patienten würden mit Aripiprazol deutlich weniger zunehmen als mit Zyprexa. Vifor Pharma schreibt, Trittico habe nur wenig Einfluss auf das Gewicht. Bei Lithium solle man das Gewicht kontrollieren.

Katharina Baumann

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