Rezension zu „Wenn Liebe nicht reicht“ von Nova Meierhenrich
Leider leistet dieses Buch keinen wertvollen Beitrag zur Entstigmatisierung der Volkskrankheit Depression, wie im Klappentext versprochen, sondern bewirkt das Gegenteil. Der Bericht von Meierhenrich beschwört ein Schreckensgespenst herbei, das eigentlich durch die historische und klinische Forschung in sich zusammen gefallen sein müsste: Das Gespenst einer dauerhaften, Jahrzehnte andauernden Depression, an deren Ende der Freitod steht.
Genauso beschreibt die Autorin die letzten Lebensjahrzehnte ihres Vaters. Nach dem Ruin seiner Firma und dem Verlust des Familienhauses erholt er sich nicht mehr. Trotz aller Anstrengungen seiner Familie, schließt er sich in seinem verdunkelten Zimmer ein und kommt nicht mehr heraus. Es gibt keine Besserung, nur den letztendlich konsequenten, von allen Familienmitgliedern erwarteten Freitod.
Das Hauptkriterium von Gemütserkrankungen ist jedoch, dass sie episodenhaft verlaufen. Das bedeutet, gesunde und als krank empfundene Phasen wechseln sich ab. Eine Dauerdepression über Jahrzehnte, wie sie hier beschrieben wird, existiert Gott sei Dank nicht. Manchmal kommt es zu einem verzögerten Verlauf, wenn beispielsweise Schlafmittel oder Alkoholabhängigkeit hinzukommen.
Die Autorin hat Medien- und Werbepsychologie studiert. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei dem vorliegenden Bericht nicht um eine ehrliche Aufarbeitung handelt, sondern dass die Autorin durchaus die Selbstvermarktung vor Augen hatte.
Sie schreibt beispielsweise, dass Sie durch die Erkrankung ihres Vaters eine Co-Depression erlitten hat und behauptet: „Bei mir wird eine Depression mit großer Wahrscheinlichkeit niemals den Beruf betreffen, da funktioniere ich einwandfrei. Ich bin, was das angeht, extrem pflichtbewusst, professionell wie eine Maschine.“ Dieser Satz ist wohl eher für potenzielle Auftraggeber formuliert als zur Aufklärung über die Erkrankung dienlich. Es ist das Kennzeichen einer Depression, dass sie sämtliche Bereiche des Lebens durchdringt und einfärbt. Sie macht nicht vor dem Arbeitsleben halt, nur weil der Betroffene sich das wünscht.
Auf der einen Seite beschreibt Meierhenrich, wie sehr ihr Leben von der Krankheit ihres Vater bestimmt wurde und wie sie dadurch „co-depressiv“ wurde, aber auf der anderen Seite beschreibt sie sich als Workaholic: „Ich hatte oft in vier verschiedenen Ländern pro Woche zu tun, manchmal sogar auf zwei unterschiedlichen Kontinenten. Ich moderierte für VIVA, machte parallel die Formel-1-Berichterstattung für Premiere, moderierte ein Reisemagazin und noch eine Samstagabendshow für Sat1. Zwei Tage Australien, dann einen in Malaysia, zwei Tage Paris, dann wieder einen in London und danach ab nach Singapur. So sah das ungefähr aus. Ich saß 300 Tage pro Jahr im Flieger. Gefühlt war ich alle drei Wochen mal zum Wäschewaschen in Köln.“
Bei einer solchen Arbeitsbelastung würde jeder irgendwann mit Erschöpfung reagieren und es ist davon auszugehen, dass die Autorin in all den Jahren nicht wirklich viel vom Verlauf des Befindens ihres Vaters mitbekommen hat. Möglicherweise ist nach der Trennung der Eltern der Kontakt zeitweilig sogar ganz abgebrochen.
Warum der Privatdozent Dr. Mazda Adli sich als Experte für ein derart flaches und oberflächliches Buch hergibt, darüber kann man nur spekulieren. Immerhin behauptet im Jahr 2018 kein Experte mehr, dass Serotoninmangel für die Entstehung einer Depression verantwortlich ist und man das wunderbar mit Antidepressiva behandeln kann.
Bei Adli liest sich das so: „Antidepressiva greifen in den Botenstoffmechanismus ein, der bei der Depression als verändert angesehen werden kann. Hier liegt zwar nicht die eigentliche Wurzel, an der die Depression entsteht, aber es ist eine Möglichkeit, um von außen mit entsprechenden Medikamenten einzuwirken….“ es folgt weiteres Geschwurbel, warum man wirkungslose Medikamente trotzdem geben und den Patienten sogar zur Einnahme überreden sollte: „Viele Menschen tun sich mit einer Psychopharmakabehandlung sehr viel schwerer als zum Beispiel mit der Einnahme eines Blutdruckmedikamentes. Als Arzt muss ich daher viel Zeit und Sorgfalt darauf verwenden, über die Wirkweise von Antidepressiva aufzuklären und Ängste zu nehmen.“
Das tut Herr Adli dann auch gerne mal mit Lügen: „Wichtig ist zu wissen, dass Antidepressiva weder abhängig machen noch die Persönlichkeit verändern.“ Diese Lüge ist ein Schlag ins Gesicht von Betroffenen. Wir haben jeden Tag mit dem Leid von Menschen zu tun, die ihre Antidepressiva nicht mehr loswerden, weil sie schlimmste Entzugserscheinungen durchleben müssen. Man muss schon sehr ignorant sein, um das zu leugnen. Und Antidepressiva müssen nicht zwangsläufig, können aber sehr wohl die Persönlichkeit verändern. Es sind viele Fälle bekannt geworden von Menschen, die sich unter der Einnahme stark verändert haben. Im Grunde kann niemand vorhersagen, was der medikamentöse Eingriff in den Gehirnstoffwechsel beim einzelnen Menschen auslöst.
Insofern ist „Wenn Liebe nicht reicht“ ein sehr ärgerliches, wohl mehr aus Eitelkeit, als aus dem Wunsch zu helfen, geborenes Buch, vor dem man dringend warnen muss.
Sabine Ansari