Eine Absetzgruppe mit psychiatrischer Begleitung

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Wir beginnen mit dem Truthahnflattern. Die Hände legen wir an die Hüften und bewegen die Ellenbogen nach hinten und vorne. Dabei gehen wir im Kreis. Zuerst links herum, dann rechts herum. Katrin Rautenberg, Psychiaterin, leitende Oberärztin und Gründerin der Gruppe, macht die Übung vor. Nach wenigen Minuten herrscht ein angeregtes Flattern und nach einem leisen Kommando sitzen alle wieder auf ihren Plätzen.

Es folgt ein Kurzvortrag, diesmal über die Absetztreppe. Die Gruppe hört geduldig zu, dann folgt eine rege Diskussion, in der jeder Fragen stellen kann, Tipps für den anderen parat hat oder einfach nur zuhört. Manche fahren zwei Stunden, um bei diesen Treffen dabei zu sein, zwei Stunden für die einfache Strecke.

Beim ersten Treffen im August 2019 waren fünf Teilnehmer dabei, alle zwischen 30 und 70 Jahren. Rautenberg, die mit dieser Gruppe Pionierarbeit leistet, wollte das klassische Arzt-Patient-Gespräch durchbrechen und mehr Anregungen und Veränderungsansätze zulassen. Das alleinige Fokussieren auf die Medikamente erschien ihr – sogar beim Thema „Medikamente reduzieren“ zu ausschließend. „Es geht auch um die Lebensqualität“, sagt Rautenberg. Gut gefällt ihr, dass sich viele bei diesem Thema mit sehr ähnlichen Fragen beschäftigen. Da kann eine Gruppe gut helfen.

In den Eingangsreferaten, die von der Gruppenleiterin, Genesungsbegleitern oder Gästen gehalten werden, erfahren die Teilnehmer Grundlegendes über die Wirkung von Medikamenten, Absetzphänomenen und Rebound, sowie biochemische Konzepte. Vieles wird anders besprochen, als in der „normalen“ Psychiatrie, in der das Absetzen von Medikamenten nicht vorkommt, weshalb sich Patienten beim Absetzen oder Reduzieren sehr allein gelassen fühlen. „Meine vorherige Psychiaterin erklärte mir jedes Mal, wenn ich die Medikamente reduzierte, dass meine Krankheit wiedergekommen wäre und sie duldete keinen Widerspruch“, berichtet eine Teilnehmerin.

Informationen sind ein wichtiges Thema, doch für die meisten ist das Gefühl entscheidend. „Ich kann mich hier mit Menschen austauschen, die allesamt in einer ähnlichen Situation sind und habe nicht mehr das Gefühl ganz alleine mit der Problematik zu sein“, erklärt ein Gruppenmitglied. „Mir hilft das gegen die Stigmatisierung, die man ja auch hat, wenn man Medikamente einnimmt“. Ein anderes Mitglied sagt: „Ich bekomme hier das Wissen, nach dem ich gesucht habe“. Die Gruppe hält über WhatsApp Kontakt und tauscht Tipps aus.

Nicht alle sind bereits mit dem Reduzieren beschäftigt. Manche holen sich in den Sitzungen Mut für ihren geplanten Absetzversuch. Viele haben mehrere schmerzhafte, gescheiterte Absetzversuche hinter sich. „Von professioneller Seite ist es mir ganz wichtig darauf hinzuweisen, wie langsam man tatsächlich reduzieren muss, damit es gelingt“, fügt Rautenberg hinzu. „Vor allem zum Ende hin, ist es ganz wichtig die kleine Dosis nicht wegzulassen, sondern langsam weiter zu reduzieren.“

Aktuell finden die Treffen zweimal im Monat statt. Die Gruppe ist auf knapp zehn Teilnehmer angewachsen, der nächste Termin findet am 04.09. statt. Es gibt eine Warteliste.

Weitere Informationen erteilt die Institutsambulanz des Ameos Klinikum Bremen in Oberneuland.

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3 Comments

  1. Wie toll, dass es so eine Gruppe gibt! Ich wünschte, sowas gäbe es hier im Raum Paderborn auch…alleine das Wissen, man ist nicht alleine mit diesen ganzen Symptomen durch das Absetzen, würde mir schon enorm helfen…stattdessen erfährt man leider nur Unverständnis und Ignoranz seitens Psychiater o.ä.

  2. Auch ich habe schwere Absetzprobleme von Zopiklon. Körperbrennen,Erschöpfung,Lebensüberforderun etc.
    Hätte ich doch bloß eine Gruppe,mit der man sich austauschen könnte! Ich könnte auch sehr viel Gutes dazubeitragen.
    Wie komme ich an eine diesbezügliche WhatsApp Gruppe?

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