Antidepressiva: Keine Hilfe bei chronischem Schmerz

·

Ärzte geben Schmerzpatienten oft Mittel gegen Depressionen – doch diese nützen kaum und haben starke Nebenwirkungen.

Von Katharina Baumann | erschienen im Gesundheitstipp Dezember 2023

Viele Leute leiden an chronischen Schmerzattacken. Manche Ärzte geben solchen Patienten Antidepressiva. Diese wirken aber wenig – und führen manchmal zu massiven Problemen.

Ursula Gasser aus Köniz BE schluckt seit 20 Jahren Saroten. Der Arzt verschrieb ihr das das Antidepressivum gegen Schmerzen. Die 73-jährige Bernerin hat die Krankheit Fibromyalgie. Immer wieder erleidet sie heftige Schmerzattacken an Kopf, Nacken und Rücken. Sie fühlt sich dann wie betäubt, zudem ist ihr schwindlig. Häufig ist der Schmerz so stark, dass sie zwei bis drei Tage lang liegen muss. «Manchmal weine ich nur noch», sagt Gasser.

Seit sie Saroten nimmt, gingen die Attacken zwar ein wenig zurück. Dafür war sie aber oft müde und legte Jahr für Jahr an Gewicht zu – heute wiegt sie 85 Kilo. Ursula Gasser schluckt Saroten trotzdem weiter: «Ich hatte Angst, dass ich sonst wieder mehr Schmerzen habe.»

Auch Karin Demuth (Name geändert) aus Sc. Gallen hat Erfahrungen mit Antidepressiva bei Schmerzen. Sie leidet an einer schweren Migräne. Der Arzt verschrieb ihr das Antidepressivum Efexor: Es soll weitere Attacken verhindern oder erträglich machen. «Es half zwar ein wenig», sage Karin Demuth. «Aber mein Körper war aufgedunsen, und ich fühlte mich überhaupt nicht mehr wohl.»

«Für die meisten Patienten enttäuschend»

Ärzte geben Patienten mit chronischen Schmerzen oft Antidepressiva. Diese erhöhen die Konzentration von bestimmten Botenstoffen im Hirn. Das soll Beschwerden bei Depressionen sowie Schmerzen lindern. Doch Fachleute winken ab. Schmerzexperte Ulrich T. Egle vom Sanatorium  Kilchberg ZH  sagt: «Antidepressiva wirken bei chronischen Schmerzzuständen kaum.» Auch der deutsche Depressionsforscher Peter Ansari sagt: «Patienten mit chronischen Schmerzen sollten keine Antidepressiva nehmen.»

Eine neue Übersichtsstudie aus England bestätigt diese Einschätzung. Die Wissenschaftler werteten insgesamt 26 Übersichten aus, in die 156 Studien mit insgesamt 25 000 Teilnehmern eingeschlossen waren. Die Zeitschrift «Der Arzneimittelbrief», fasst das Fazit der Untersuchung so zusammen: «Antidepressiva sind für die meisten Patienten enttäuschend

Laut Studie schnitten Medikamente wie Cymbalta, Duloxetin, Sandoz oder Efexor noch am besten ab. Diese Mittel gehören zur Gruppe der Noradrenalin-Blocker. Sie erhöhen die Konzentration der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin im Hirn. Die Studie zeigte: Sie wirken mäßig gut bei Fibromyalgie, Nerven-, Operations- und Rückenschmerzen (siehe Tabelle). Auf einer Schmerzskala von O (keine Schmerzen) bis 10 (stärkste vorstellbare Schmerzen) machten sie allerdings weniger als einen Punkt auf der Skala aus. Die Studienautoren halten daher fest, der Nutzen für die Patienten sei fraglich

Saroten gehört zur Gruppe der trizyklischen Antidepressiva. Sie beeinflussen verschiedene Botenstoffe im Gehirn. Laut der Fachzeitschrift «Infomed-Sreen» ist Saroten bei drei von vier Ärzten die erste Wahl, wenn sie Patienten Antidepressiva gegen Schmerzen geben. Die englische Studie zeigt jedoch: Es ist fraglich, ob Saroten wirkt. Nur bei Kopf- und Nervenschmerzen gibt es einzelne Hinweise, dass das Mittel hilft.

Am schlechtesten schnitten im Vergleich Mittel wie Deroxat oder Paconex aus der Gruppe der Serotonin-Blocker ab. Sie erhöhen die Konzentration des Botenstoffs Serotonin im Hirn. Doch gegen Schmerzen hilft das nicht: So ist unklar, ob die Mittel bei Operationsschmerzen wirken. Bei Fibromyalgie und Rückenschmerzen nützen sie nicht. Und zur Wirkung bei Arthrose, Kopf- und Nervenschmerzen gibt es keine Studien.

«Seelische Höllenfahrt» beim Absetzen der Mittel

Hinzu kommt: Mit Antidepressiva riskiert man Nebenwirkungen. Das spürte auch Migränepatientin Karin Demuth. Ihr Körper gewöhnte sich an Efexor. «Vergaß ich einmal eine Tablette, hatte ich am nächsten Tag eine heftige Migräne, die mindestens zwei Tage lang dauerte.» Sie wollte die Tabletten daher absetzen. Doch das klappte nicht so leicht: Zwar habe sie schrittweise eine Vierteltablette weniger genommen, sagt Demuth. «Aber schon das warf mich für zwei Wochen ins Bett.» Sie litt an extremer Migräne, zudem war ihr so schwindlig, dass sie sich festhalten musste, um nicht zu stürzen. Hinzu kamen Suizidgedanken, die sie auf den Entzug des Mittels zurückführt.  Karin Demuth  sage: «Es war der Horror.» Den Entzug schaffte sie erst nach einem Jahr.

Der Depressionsforscher Peter Ansari bestätige: Patiencen, die Antidepressiva wie Efexor oder Saroten nach einigen Jahren absetzen, riskieren «eine seelische Höllenfahrt». Manche würden unter Schmerzen leiden, hätten das Gefühl, außerhalb ihres Körpers zu sein, entwickelten Ängste und manchmal gar Wahnvorstellungen. Da das Absetzen so schwierig sei, würden viele Patiencen das Mittel dann doch weiter nehmen. Ansari warnt: «Wenn Schmerzpatienten mit einem Antidepressivum beginnen, nehmen sie es häufig ihr Leben lang.»

Die Hersteller verweisen bezüglich Nebenwirkungen auf die Packungsbeilagen. Saroten-Hersteller Lundbeck schreibt, das Mittel wirke bei Nerven- und Kopfschmerzen. Für die Behandlung von Schmerzen wegen Reizdarm sei es nicht zugelassen. Das «Absetzphänomen» sei abhängig von Dauer und Dosis der Therapie.              

So brauchen Sie weniger Schmerzmittel

►          Bewegen Sie sich oft, etwa mit Walking, Aquajogging oder Velofahren.

►          Lernen Sie Entspannungs­methoden wie autogenes Training.

►          Versuchen Sie, sich vom Schmerz abzulenken, etwa mit der Pflege sozialer Kontakte.

►          Probieren Sie Therapien mit Kälte oder Wärme aus. Bei Muskelschmerzen durch Verspannungen hilft oft Wärme, bei Entzündungen und Nervenschmerzen Kälte.

Von Katharina Baumann im Gesundheitstipp Dezember 2023

Similar Posts

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .