Gerd Glaeske in Psychologie Heute über Unglück auf Rezept

Besprechung Ansari

In der Zeitschrift Psychologie-Heute (02/2017) bespricht Prof. Gerd Glaeske „Unglück auf Rezept“: Stellt die Pharmaindustrie die Profitgier über das Wohl der Patienten?

Der Bremer Arzneimittel-Professor Gerd Glaeske bespricht in der Februar-Ausgabe von Psychologie-Heute die Bücher „Unglück auf Rezept“ und „Tödliche Psychopharmaka“. Der ausgebildete Pharmazeut Glaeske bestätigt die schwache pharmazeutische Wirkung der Substanzen und kritisiert die Profitgier der Pharmahersteller.

Psychopharmaka – Glück oder Unglück? Die Pharmaindustrie stellt die Profitgier über das Wohl der Patienten, behaupten zwei Bücher über Missstände in der psychiatrischen Behandlung

Umfragen in der Bevölkerung zeigen immer wieder, dass viele Menschen Arzneimittel aus der Gruppe der Psychopharmaka mit großer Skepsis betrachten. In diesem Zusammenhang wird auch der Jahr für Jahr erkennbare Anstieg der Verordnungsmengen insbesondere neuer Antidepressiva kritisch diskutiert.

Daneben gibt es die unüberhörbare Kritik an den Herstellern, die oftmals schwerwiegende unerwünschte Wirkungen und Risiken bei Psychopharmaka herunterspielen und Studienergebnisse, auch mithilfe von bezahlten Experten, besser darstellen, als es der Wirklichkeit entspricht. Und diese Aktivitäten haben offenbar Erfolg – die Statistiken der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) für das Jahr 2014 zeigen steigende Verordnungsmengen und Umsätze: Zusammengenommen rangieren Psychopharmaka auf Rang zwei der verordnungsstärksten Arzneimittel. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen belaufen sich auf rund zwei Milliarden Euro für fast 50 Millionen Verordnungen. Die Zweifel an der Notwendigkeit und am Nutzen dürften sich beim Lesen der Bücher von Peter C. Gøtzsche und Peter und Sabine Ansari erheblich verstärken: Der dänische Medizinforscher Gøtzsche, in Fachkreisen der evidenzbasierten Medizin hochgeschätzt, beschäftigt sich mit dem gesamten Markt der Psychopharmaka. Titel und Untertitel signalisieren bereits eindeutig die Diktion des Buches: Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen. Wie Ärzte und die Pharmaindustrie die Gesundheit der Patienten vorsätzlich aufs Spiel setzen. Peter und Sabine Ansari, Mediziner und Heilpraktikerin, haben sich auf einen Teilbereich der Psychopharmaka konzentriert, der auch im erstgenannten Buch eine wichtige Rolle spielt: Unglück auf Rezept. Die Anti-Depressiva-Lüge und ihre Folgen.

Die Unsicherheit vieler Menschen bezüglich des Nutzens von Psychopharmaka, speziell auch der Antidepressiva, wird durch die zitierten und kompetent ausgewerteten Studien unterstützt. So ist seit vielen Jahren bekannt – auch wenn dies von pharmazeutischen Unternehmen und leider auch einigen Experten immer wieder anders dargestellt wird –, dass die Wirksamkeit von Antidepressiva eher begrenzt und unspezifisch ist.

Die Medikamente helfen keineswegs allen Menschen, bei denen eine behandlungsbedürftige Depression diagnostiziert wird. Es ist daher nachvollziehbar, dass auch nichtmedikamentöse Therapieangebote, vor allem aus dem Bereich der Psychotherapie, bei Patientinnen und Patienten mit einer gut und richtig diagnostizierten mittelschweren und schweren Depression empfohlen werden. Beide Bücher beschäftigen sich gerade auch wegen dieser begrenzten Effizienz mit den längst bekannten, aber von vielen „Leitexperten“ im Gefolge pharmazeutischer Unternehmen oftmals geleugneten unerwünschten Wirkungen, die letztlich zu einer negativen Schaden-Nutzen-Bewertung führen können. Eine der immer wieder vorgebrachten positiven Auswirkungen einer Antidepressivabehandlung soll nämlich in einer Senkung der Suizidrate liegen. In den jeweiligen, sehr ähnlich klingenden Abschnitten beider Bücher zu diesem Thema wird überzeugend dargestellt, dass es hierfür nicht nur keine Evidenz gibt, sondern dass das Gegenteil richtig sein könnte: Insbesondere im Zusammenhang mit Antidepressiva aus der Gruppe der sogenannten SSRI (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie etwa Fluoxetin oder Citalopram) wird die Suizidrate wahrscheinlich sogar erhöht.

Beide Bücher sind lesenswert und haben – wenn auch zugespitzt formuliert – einen hohen Aufklärungswert über Machenschaften pharmazeutischer Unternehmen und die Willfährigkeit und Käuflichkeit mancher Zulassungsbehörden und Psychiater. Gøtzsche bietet dabei einen ausgesprochen wissenschaftlich fundierten Gesamtüberblick (unterlegt mit etwa 700 Literaturzitaten) über alle Psychopharmaka (Antidepressiva, Neuroleptika, Tranquilizer, Psychostimulanzien, aber auch Alzheimermittel), der sich oft als eine Art Abrechnung mit den unlauteren Strategien pharmazeutischer Hersteller liest. Peter und Sabine Ansari bieten eine kompakte und ebenfalls durch viele Literaturbelege unterstützte, nicht minder kritische Darstellung der Wirkungen und unerwünschten Wirkungen von Antidepressiva.

Ihr Buch ist stärker patientenorientiert geschrieben als das von Gøtzsche. Beide Bücher geben auch Hinweise und Empfehlungen für Patienten und Ärzte. Dabei geht es insbesondere darum, wie und wo Informationen zu bekommen sind, etwa zu Absetz- oder zu möglichen Abhängigkeitsproblemen nach der Einnahme von SSRI. Die Autoren zeigen auch, welche Fragen vor einer Therapie gestellt und beantwortet werden sollten und wie Interessenskonflikte erkannt werden können. So empfehlen sie etwa, im Internet Verbindungen des jeweiligen Arztes zu Pharmafirmen zu recherchieren.

Am Schluss des Ansari-Buches finden sich allerdings auch Empfehlungen für wenig evidenzbasierte Verfahren wie die Behandlung mit Bachblüten oder Kräuterextrakten oder die Anwendung von Massagen oder Biofeedback – dies passt nicht wirklich zu dem sonst wissenschaftlich fundierten Überblick.

Die marktschreierischen Titel beider Bücher sind zwar grenzwertig und sollen offenbar der Aufmerksamkeit und der Verkaufsförderung dienen. Inhaltlich transportieren sie aber eine wichtige und überfällige Botschaft: Psychopharmaka bieten keineswegs das einfache Glück aus der Pillendose, wie manche meinen; vielmehr ist es notwendig, viel über ihre Wirkungen und unerwünschten Wirkungen zu wissen, um mögliches Unglück durch die Folgen nach der Einnahme solcher Mittel zu vermeiden.

GERD GLAESKE
Gerd Glaeske, Pharmazeut, ist Professor für Arzneimittelanwendungsforschung am Zentrum für Sozialpolitik (jetzt SOCIUM) der Universität Bremen. Er gilt als einer der wichtigsten Pharmakritiker Deutschlands und ist unter anderem seit Jahren Mitarbeiter beim Nachschlagewerk Bittere Pillen.

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Die Glaeske Besprechung
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