Als ich die Medikamente absetzte, begann eine jahrelange Hölle

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von Janek

Als Säugling von drei Monaten erlitt ich infolge eines schweren Verkehrsunfalls ein Schädel-Hirn-Trauma mit Berstungsfraktur und infolge dessen hatte ich schon als Kind u.a. mit großen Ängsten zu kämpfen und seit meiner Jugendzeit mit Selbstwertproblemen und ab Anfang Zwanzig mit mittelschweren bis schweren Depressionen, die vor allem von hohem Druck und der Schnelllebigkeit der Arbeitswelt ausgelöst waren.

Als ich im Jahr 2014 Teilnehmer einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme an einem Berufsbildungswerk war, bin ich auf dringenden Rat der dort tätigen Pädagoginnen und Pädagogen aufgrund dieser für mich extrem belastenden Beschwerden zusammen mit der Psychologin, die mich dort betreut hat, zum Facharzt für Nervenheilkunde gegangen. Dort wurden mir Psychopharmaka verordnet, und im Vertrauen darauf, bestmöglich pädagogisch und medizinisch betreut und behandelt zu werden, habe ich mich auf die Medikamente eingelassen. Denn sowohl Psychologin, als auch Arzt hatten mir glaubhaft versichert, die Medikamente, die sie mir verschrieben, seien nicht gefährlich, machen nicht abhängig und ich könne sie völlig bedenkenlos einnehmen.

Die im Anschluss an die Maßnahme begonnene Ausbildung musste ich aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Deshalb bin ich erneut in eine seelische Krise geraten, die auch mit Klinikaufenthalten verbunden war. Die behandelnden Ärzte und die betreuenden Sozialpädagogen haben mir mitgeteilt, eine medikamentöse Behandlung wäre weiterhin unerlässlich, um tiefe Rückfälle zu vermeiden. Deshalb habe ich mich weiterhin vertrauensvoll in deren Hände begeben.

Als ich im Jahr 2019 dank glücklicher Umstände eine Arbeitsstelle in der Schulbibliothek eines Gymnasiums erhielt, und ich mich stabil fühlte, habe ich gemeinsam mit meinem Arzt die Medikamente unter ärztlicher Betreuung (auf vollkommen fehlerhafte Art und Weise) abgesetzt.

Und dann ging im Januar 2020 die Hölle los. Ich bin von einem Tag auf den anderen in entsetzliche Horrorzustände geraten, sowohl psychisch, als auch körperlich. Es hat mich völlig überfahren. Von einem Tag auf den anderen hatte ich folgende Symptome:

•             massive Schlaflosigkeit

•             schwere Depressionen

•             unaushaltbare Angstzustände

•             stromschlagartige Empfindungen und Zuckungen am Körper

•             Ruhelosigkeit

•             schwere Konzentrationsstörungen

•             massive Todesängste u.a.

Diese Symptome haben jahrelang angehalten. Ein endlos scheinender Höllentrip. Kein Licht am Ende des Tunnels – für sehr lange Zeit.

Es war so schlimm, dass ich in die Psychiatrie gebracht werden musste. Dort wurde ich mit vielen Medikamenten behandelt, aber dauerhaft hat nichts davon geholfen. Mir ging es unter der Medikation sehr schlecht und nach vier Wochen habe ich mich selbst entlassen.

Durch ein Beratungsgespräch mit Ihnen [Anmerkung: Dr. Ansari] wurde mir aufgezeigt, wie es sich tatsächlich verhält mit den Medikamenten und ich war sehr schockiert. Denn das, was Sie mir erzählt haben, hatte mir kein Arzt gesagt. Mit am schlimmsten für mich war, dass mich kein Arzt ernst genommen hat und ich von allen als psychisch krank abgestempelt wurde. Ich musste erfahren, wie ich trotz Folterqualen, die ich erlebte, nicht ernst genommen wurde. Das habe ich als zusätzliche grausame, psychische Misshandlung wahrgenommen.

Meine Familie, meine Freunde und Bekannten waren überfordert, ich habe gefühlte eine millionenmal den Ratschlag bekommen, doch bitte wieder Tabletten einzunehmen, da ich sie anscheinend tatsächlich brauchen würde. Das war für mich schrecklich. Ich bin heilfroh, dass ich standhaft geblieben bin und eine erneute Einnahme stets verweigert habe. Ich hatte angesichts der scheinbaren Hoffnungslosigkeit tief in mir doch immer ein Funken Hoffnung, dass der Tag irgendwann kommt, an dem es mir besser gehen wird. Diese Hoffnung hat mir geholfen durchzuhalten und all die Jahre diese unsagbaren Qualen zu ertragen. Der Wille zu leben war größer, als der Wunsch zu sterben.

Ich habe eine jahrelange Entzugshölle durchlebt und war in dieser Zeit ganz auf mich allein gestellt. Ich stand nahe am Abgrund und es ist nur meinem unerschütterlichen Willen zu verdanken, dass ich diese Zeit überlebt habe und hier jetzt diese Zeilen schreiben kann. Das Vertrauen in die Medizin habe ich komplett verloren und das Vertrauen in Mitmenschen allgemein hat einen gewaltigen Riss bekommen.

Ich bin aufgrund dieser traumatischen Erlebnisse momentan nicht arbeitsfähig und derzeit auf Erwerbsminderungsrente angewiesen. Dennoch bin ich sehr froh, dass es mir mittlerweile deutlich besser geht. Ich kann sogar regelmäßig wieder ehrenamtlich an zwei Tagen in der Woche für zwei Stunden in der Schulbibliothek arbeiten. Auch habe ich ein Fernstudium, bei der Schule des Schreibens, begonnen. Das hilft mir, mich den positiven Ereignissen zuzuwenden. Ich bin zwar  noch immer nicht ganz stabil und es gibt noch ab und zu Rückschläge, aber es geht mir von Jahr zu Jahr besser.

Es war mir ein großes Anliegen, diese Absetzerfahrung an Sie zu schreiben, denn es stellt für mich einen wichtigen Schritt zur eigenen Heilung dar. Ich gehe stark davon aus, dass die Bildungsbegleiterin und die Psychologin im Berufsbildungswerk, die mich damals betreut haben, das Beste für mich im Sinn gehabt haben und dass sie nicht wussten, was passieren kann, wenn man den Fachärzten für Nervenheilkunde so vertraut, wie ich es damals getan habe.

Es ist mir bewusst, dass es viele Menschen gibt, die Ähnliches wie ich erlebt haben und die sich von den Psychiatern allein gelassen und nicht ernst genommen fühlen, und es ist mir ein großes Bedürfnis, diesen Menschen eine Stimme zu geben und darauf aufmerksam zu machen, dass sich das Gesundheitssystem in Deutschland in einer enormen Schieflage befindet.

Es mag Menschen geben, die so schwer krank sind, dass sie zumindest vorübergehend auf diese Arzneimittel angewiesen sind, aber die meisten Ärzte, und ich habe viele von ihnen kennengelernt, wissen nicht, wie man mit Psychopharmaka angemessen umgeht. Auch die Aufklärungsarbeit, die die Mediziner gegenüber ihren Patienten leisten, ist katastrophal und war in meinem Fall praktisch nicht vorhanden.

Der Sinn dieses Schreibens besteht auch darin, dass ich Mut machen möchte. Ich möchte an diejenigen appellieren, die sich im Entzug befinden, dass sie so grausam und quälend es auch sein mag, die Hoffnung niemals aufgeben. Auch wenn man oft überzeugt davon ist, dass es nie, nie, niemals wieder besser wird – es wird irgendwann besser. Es kommt allmählich Erleichterung. Bei mir war es so und ich kann von mir heute sagen, dass ich wieder einigermaßen in der Lage bin, meinen Alltag zu meistern. Dafür bin ich sehr dankbar.

Und ich bedanke mich für Ihre wertvolle Aufklärungsarbeit.

Janek

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