Werden Patienten von Neurologen und Psychiatern belogen?

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Google Suche Depressionen Botenstoff

Wenn man Google fragt, was die Ursache einer Depression ist, erhält man als ersten Treffer die Website der „Neurologen und Psychiater im Netz“ (Link).

Das ist nicht nur irgendeine Homepage, sondern hier haben sich die folgenden Berufsverbände zusammengeschlossen:

  • Berufsverband Deutscher Neurologen e. V. (BDN),
  • Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland (BKJPP) e. V.
  • Berufsverband Deutscher Nervenärzte e. V. (BVDN)
  • Berufsverband Deutscher Psychiater e. V. (BVDP)
  • Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN),
  • Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP)
  • Schweizerische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (SGKJPP)

Die Website bezeichnet sich als „Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen“. Es ist jedoch erstaunlich, was Patienten auf dieser Website lesen, wenn sie sich über Depressionen informieren möchten:

„Depressive Patienten weisen im Vergleich zu Gesunden oft eine erniedrigte Aktivität von Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin auf.“

Neurologen und Psychiater im Netz (Link)

über Antidepressiva:

„Die Wirkung der Antidepressiva beruht darauf, dass sie den Mangel der körpereigenen Neurotransmitter Serotonin und/oder Noradrenalin (Botenstoffe, die anregende Nervenimpulse im Gehirn übertragen und bei der Depression zu wenig aktiv sind), wieder ausgleichen.“

Neurologen und Psychiater im Netz (Link)

Über die Ursache von Angststörungen ist zu lesen:

„Bei Angststörungen ist vermutlich das Gleichgewicht von Botenstoffen (Neurotransmittern) wie etwa Serotonin, Noradrenalin oder Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und im Gehirn gestört.“ 

Neurologen und Psychiater im Netz (Link)
Behauptungen der Neurologen und Psychiater im Netz über die Ursache einer Depression
Die „Neurologen und Psychiater im Netz“ behaupten: Depressive Patienten haben einen niedrigen Botenstoffspiegel.

Depression-Heute ist von diesen Aussagen verblüfft und fragt sich, auf welchen Untersuchungsergebnissen diese „Behauptungen“ basieren. Unserer Ansicht zufolge hat die Forschung das Gegenteil herausgefunden:

  1. Wenn man bei gesunden Menschen, den Serotonin- oder Noradrenalin-Spiegel im Gehirn absenkt, entwickeln diese Menschen keine Depression [1-3].
  2. Antidepressiva gleichen keinen Mangel an Botenstoffen aus [4]. Die Wissenschaft hat noch nie eine Messung bestätigt, in der Antidepressiva einen Mangel an Serotonin oder Noradrenalin ausgeglichen haben [5, 6]. Es ist noch nicht einmal bekannt, ob eine dauerhafte Antidepressiva-Gabe die Serotonin- oder Noradrenalin-Konzentration anhebt oder senkt [7]. Das Antidepressivum Tianeptin senkt (!) den Serotonin-Spiegel und wird dennoch als antidepressives Medikament eingesetzt [8, 9].
  3. Der Gehirnstoffwechsel von depressiven Patienten wurde seit über 50 Jahren immer wieder untersucht. Dabei wurde herausgefunden: Es gibt weder für Serotonin, Noradrenalin oder GABA einen „Referenzwert“, der eine Aussage über einen Normalwert oder ein Gleichgewicht der Botenstoffe zulässt [10]. Jeder Mensch scheint je nach Geschlecht, Alter, Körpergröße, Tageszeit, Gewicht, etc. unterschiedliche Botenstoffkonzentrationen in sich zu tragen [11]. Es gibt deshalb keine Daten, die einen gesunden „Normalzustand“ darstellen. Aber ohne gesunden „Normalzustand“ kann es auch keine Aussagen, über einen abweichenden „kranken“ Zustand geben.

Depression-Heute fragt: Aus welchem Grund finden sich auf Patientenseiten, die von deutschen und schweizerischen psychiatrischen und neurologischen Fachgesellschaften betrieben werden, Unwahrheiten? Warum wird Patienten etwas anderes erzählt, als die Forschung herausgefunden hat?

Wir konfrontieren die „Neurologen und Psychiater im Netz“ mit unseren Fragen und werden die Antwort der Autoren veröffentlichen.

Literatur

  1. Delgado, P.L., et al., Neuroendocrine and behavioral effects of dietary tryptophan restriction in healthy subjects. Life Sci, 1989. 45(24): p. 2323-32.
  2. Delgado, P.L. and F.A. Moreno, Role of norepinephrine in depression. J Clin Psychiatry, 2000. 61 Suppl 1: p. 5-12.
  3. Praschak-Rieder, N., et al., Effects of tryptophan depletion on the serotonin transporter in healthy humans. Biol Psychiatry, 2005. 58(10): p. 825-30.
  4. Lacasse, J.R. and J. Leo, Antidepressants and the chemical imbalance theory of depression: A reflection and update on the discourse. the Behavior Therapist, 2015. 38(7): p. 206-213.
  5. Krishnan, V. and E.J. Nestler, Linking molecules to mood: new insight into the biology of depression. Am J Psychiatry, 2010. 167(11): p. 1305-20.
  6. Healy, D., Serotonin and depression. BMJ : British Medical Journal, 2015. 350: p. h1771.
  7. Andrews, P.W., et al., Is serotonin an upper or a downer? The evolution of the serotonergic system and its role in depression and the antidepressant response. Neurosci Biobehav Rev, 2015. 51: p. 164-188.
  8. Fattaccini, C.M., et al., Tianeptine stimulates uptake of 5-hydroxytryptamine in vivo in the rat brain. Neuropharmacology, 1990. 29(1): p. 1-8.
  9. Kuroda, Y., Y. Watanabe, and B.S. McEwen, Tianeptine decreases both serotonin transporter mRNA and binding sites in rat brain. Eur J Pharmacol, 1994. 268(1): p. R3-5.
  10. Pech, J., et al., Poor evidence for putative abnormalities in cerebrospinal fluid neurotransmitters in patients with depression versus healthy non-psychiatric individuals: A systematic review and meta-analyses of 23 studies. Journal of Affective Disorders, 2018. 240: p. 6-16.
  11. Azmitia, E.C., Evolution of Serotonin: Sunlight to Suicide, in Handbook of the Behavioral Neurobiology of Serotonin, C. Müller, P. and B. Jacobs, Editors. 2010, Elsevier Science. p. 3-22.

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3 Comments

  1. Sehr geehrter Herr Dr. Ansari, ich wünsche Ihnen bei Ihren Bemühungen viel Erfolg. Lt. Presse ist die Behauptung, Serotonin- bzw. ein „Botenstoffmangel“ sei die Ursache einer Depression in Schweden und Irland untersagt. Ich hoffe, dass das auch hierzulande mal irgendwann so sein wird… Viele Grüße Hermann Schurz

  2. Lieber Dr. Ansari.
    Als Heilpraktiker für Psychotherapie habe ich in den letzten 10 Jahren 50 Informations-Vortäge gegen Antidepressiva gehalten. Die Inhalte Ihrer Bücher haben mir bei der Ausarbeitung meiner Vorträge sehr geholfen und decken sich absolut mit den Erfahrungen die mir hunderte meiner PatientInnen geschildert haben.
    Dass Ärzte, die jahrelang aus Unwissenheit ihren PatientInnen durch Antidepressiva mehr geschadet als genützt haben, ihre Fehlbehandlungen nun nicht zugeben wollen, liegt einerseits wohl an einer kollektiven Charakterschwäche und andererseits an ihrer Geldgier. Nochmals Danke und machen Sie bitte so weiter.
    LG Adalbert Hoffmann.

  3. Es war ein Instinkt, das Gefühl angelogen zu werden … das Angebot von Medikamenten habe ich nicht angenommen.
    Meine persönliche Geschichte ist auch nur eine von vielen. Unbedeutend als Mensch, wichtig als Arbeitskraft. Deshalb muss man mitwirken, eine Willensanstregung zeigen, zu der auch die Einnahme von gut verträglichen Medikamenten zählt. Zurück in einen Job, wo es keine Rechte gibt.
    Ich könnte es drastischer ausdrücken, aber ich bin nur einer von vielen, die leiden.

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