Von der Depression in die Medikamentenabhängigkeit
und meinem Kampf, da wieder einen Weg herauszufinden
Mein Name ist Luna und ich bin 43 Jahre alt. Seit vierzehn Jahren nehme ich das Antidepressivum Venlafaxin und seit vielen Jahren das Antidepressivum Mirtazapin. Meine Erfahrungen mit meiner Medikamentenabhängigkeit und meinen Leidensweg beim Absetzen möchte ich hier gerne teilen.
Wut, Frustration, Traurigkeit, Angst,… die ganze Palette der unangenehmen Gefühle kommt bei mir in Wellen immer wieder hoch, wenn ich mit meiner Medikamentenabhängigkeit konfrontiert werde. Und ich werde oft mit ihr konfrontiert. Entweder dann, wenn ich wieder besonders stark von einem der vielen Nebenwirkungen geplagt werde oder wenn ich zum Arzt laufen muss, um mir ein neues Rezept zu besorgen. Besonders knallhart werde ich aber dann mit der Abhängigkeit konfrontiert, wenn ich versuche das Venlafaxin zu reduzieren.
Ja, und ich schreibe ganz bewusst Abhängigkeit, weil es für mich nichts anderes als das ist. Es ist kein Problem meiner Jahre in der Vergangenheit liegenden Depression, es ist kein “sie einnehmen müssen, weil ansonsten die Grunderkrankung wieder stärker auftritt“. Nein, es ist heute lediglich noch eine Medikamentenabhängigkeit, die rein gar nichts mehr mit meiner früheren Depressionserkrankung zu tun hat.
Und an diesem Punkt kommt wieder die Wut und Traurigkeit in mir hoch. Nämlich darüber, dass einfach von niemandem, mit Ausnahme von ganz wenigen, gesehen wird wie es wirklich ist.
Jeder, dem ich von den Absetzproblemen erzähle, denkt erstmal, ich könne die Antidepressiva nicht absetzen, weil ich ohne sie bzw. mit geringerer Dosis wieder stärker depressiv werden würde. Andere verstehen nicht was so schlimm daran sein soll ein Leben lang Medikamente einzunehmen. Ich habe wirklich kaum jemanden, der nicht selbst betroffen ist / war und die Abhängigkeit beim Absetzversuch erlebt hat, getroffen, der die Abhängigkeit dieser Medikamente sieht, anerkennt oder versteht.
Es ist schade, dass das Thema der psychischen Erkrankungen gesellschaftlich noch immer oft komisch beäugt und bewertet wird. Aber noch skandalöser finde ich, dass die Gefahren der Antidepressiva, selbst bei den Ärzten, noch völlig ignoriert und unter den Teppich gekehrt werden. Ich würde so gerne ganz offen mit dem Thema durch die Welt gehen, doch leider stoße ich dabei, selbst bei den Ärzten, auf taube Ohren. Ich werde mit meiner Entzugsproblematik nicht ernst genommen. Nein, es wird von den Ärzten sogar belächelt und es wird mir jedes Mal wieder eine Depression eingeredet.
Ich glaube den Psychiatern ist gar nicht bewusst, was sie da bei uns Patienten anrichten. Es tut sehr weh so wenig ernst genommen und mit seinen Entzugsproblemen allein gelassen zu werden. Bei mir geht das heute so weit, dass ich mir diesen Schmerz nicht mehr zufügen lassen möchte und keinen Fuß mehr in eine psychiatrische Praxis setze, wenn ich nicht unbedingt muss.
Mein Vertrauen in die Psychiater ist gleich null. Denn ich weiß was in mir drin passiert, wenn ich das Venlafaxin reduziere und wenn ich es wieder hochdosiere. Ich weiß mittlerweile ganz genau wie mein Körper darauf reagiert und lasse mir nicht mehr von Ärzten einreden ich läge da falsch.
Nur leider hat es mich fast 10 Jahre und drei fehlgeschlagene Absetzversuche sowie eine extreme Höherdosierung gekostet, bis ich genau wusste wie mein Körper auf die Medikamentenreduktion reagiert. Das hätte viel schneller gehen können, hätte ein Psychiater Ahnung von den Absetzproblematiken gehabt und mich adäquat dabei begleitet und beraten. So musste ich den Weg alleine herausfinden und habe dabei viele Fehlschläge erlitten. Zudem nehme ich die Antidepressiva immer noch und habe auch bei meinem vierten Absetzversuch noch einen sehr langen Weg vor mir.
Zu meiner Geschichte:
Vor 14 Jahren bekam ich eine mittelschwere Depression, die sich schon ein Jahr zuvor über eine starke Erschöpfung ankündigte. Ich war in dieser Zeit für fast ein Jahr nicht in der Lage zu arbeiten. Ich wurde ambulant behandelt, sowohl psychotherapeutisch, als auch psychiatrisch.
Die gesamte Zeit meiner Erkrankung war rückblickend für mich eine schwere, aber auch sehr lehrreiche Zeit, die mich und meine weitere Entwicklung stark geprägt haben.
Ich habe viel über mich, meine Vergangenheit und meine Verhaltensmuster gelernt. Ich habe unglaublich viel aufgearbeitet, emotional durchlebt, aufgelöst und Stück für Stück Dinge verändert. Ich habe immer weiter den Weg zu mir selbst gefunden und gelernt zu spüren was ich brauche, damit es mir gut geht. Dieser Prozess fing damals in ganz kleinen Schritten an und noch heute arbeite ich an kleinen Veränderungen bzw. Optimierungen um mein Seelenwohl noch weiter zu stärken.
Ich hatte nach dieser mittelschweren Depression noch zwei bis drei kürzere und leichtere depressive Episoden. Doch nun seit über 8 Jahren habe ich keinerlei depressive Episoden mehr gehabt. Ich fühle mich stabil, stark und mit sehr viel Rüstzeug ausgestattet. Natürlich weiß ich nicht, ob eine Krise in meinem Leben nochmal eine Depression auslösen wird, jedoch fühle ich mich seit Jahren stabil.
Die Antidepressiva aber binden mich noch immer an die vergangene Depressionserkrankung, auch wenn es nur dann ist, wenn ich ein neues Rezept brauche oder beim Arzt angeben muss welche Medikamente ich nehme. Ich hasse es regelrecht, dass ich an diese gefesselt bin. Denn genauso fühlt es sich für mich an. Ich bin gefesselt und gezwungen diese Medikamente weiter zu schlucken, weil mein Körper ansonsten in einen solch schlimmen Ausnahmezustand gerät, der der Depression von damals in nichts nachsteht.
Mir wurde damals von einer Psychiaterin 75mg Venlafaxin und 15mg Mirtazapin verschrieben. Ich wollte zuvor mehrere Monate keine Medikamente nehmen, aber ich schlief so gut wie gar nicht mehr, weinte den über Tag andauernd und kriegte die einfachsten Alltagssachen nicht mehr hin. Sowohl die Psychotherapeutin, als auch der Hausarzt drängten mich damals zum Psychiater und zur Einnahme von Antidepressiva. Und ich befand mich in einem völlig hilflosen, orientierungslosen Zustand, der einfach durch nichts gelindert wurde. Ich war irgendwann so kraftlos und mürbe, dass ich den Weg zur Psychiaterin dann doch ging und die Medikamente einnahm.
Rückblickend weiß ich nicht, ob die Medikamente meine Depression wirklich schneller gelindert haben. Ich hatte furchtbare Nebenwirkungen, allen voran einen ekelhaften Schwindel. Doch da es mir eh so schlecht ging, machten diese Symptome den Braten auch nicht mehr fett.
Das einzige was rückblickend wirklich geholfen hat, war, dass ich durch das Mirtazapin endlich wieder schlafen konnte. Meine Depression an sich hielt auch nach der Einnahme der Antidepressiva noch längere Zeit an und es dauerte noch viele Monate bis ich wieder soweit stabil und arbeitsfähig war.
Heute im Rückblick auf damals und mit all meinen Erfahrungen und meinem Wissen von heute, würde ich das Venlafaxin auf gar keinen Fall mehr einnehmen, auch wenn ich in derselben Situation wie damals wäre. Es ist für mich ein hochgefährliches Teufelszeug und der Nutzen überwiegt für mich keineswegs das Risiko und die Probleme, die ich dadurch habe.
Hingegen muss ich sagen, dass ich das Mirtazapin im Rückblick schon erneut einnehmen würde, weil es mir damals sehr geholfen hat wieder schlafen zu können. Zudem konnte ich dieses auch in kleinen Schritten recht gut wieder ausschleichen.
Das Venlafaxin jedoch konnte ich bis heute nicht absetzen bzw. ganz ausschleichen. Nein, es ist sogar noch viel schlimmer gekommen und ich musste es nach einer schweren Entzugskrise sogar noch höher dosiert einnehmen als zu Beginn und das Mirtazapin ebenso wieder eindosieren.
Ich habe insgesamt schon drei gescheiterte Absetzversuche hinter mir und befinde mich seit zwei Jahren in meinem vierten Absetzversuch.
1. Absetzversuch:
Den ersten Absetzversuch machte ich ca. 2 Jahre nach meiner mittelschweren Depression. Ich ging da völlig unbedarft und mit einem zuversichtlichen Gefühl heran. Ich war mir sicher, dass es kein Problem sein würde es in ein paar Schritten wieder abzusetzen. Schließlich hatte ich zuvor auch das Mirtazapin langsam ausschleichen können. Die Psychiaterin war mit meinem Vorhaben einverstanden und sagte mir ich solle erstmal von 75mg auf 37,5mg Venlafaxin herunterdosieren. Da ich zu diesem Zeitpunkt den Psychiatern noch völlig vertraute und lediglich wusste, dass man in Schritten absetzen sollte, tat ich was mir geraten wurde. Mit dem Ergebnis, dass ich mich schon ziemlich direkt nach diesem Reduktionsschritt nicht gut fühlte, irgendwie kraftloser, weniger belastbar, gereizter, usw.
Ich brachte diesen Zustand aber erstmal überhaupt nicht mit der Medikamentenreduktion in Zusammenhang, sondern überlegte wo ich mich übernommen haben könnte oder wo in meinem Leben ein Problem bestehen könnte. Ich begab mich erneut in psychotherapeutische Behandlung, weil ich dachte es bahne sich wieder eine Depression an. Sowohl die Therapeutin, als auch die Psychiaterin sagten mir dann ich hätte wieder eine Depression und empfahlen mir das Venlafaxin wieder auf 75mg hochzudosieren. Das tat ich nach längerem Zögern dann auch, weil einfach nichts meinen Zustand verbesserte und ich keine Kraft mehr hatte dagegen zu halten. Und nach kurzer Zeit der erneuten Einnahme von 75mg wurde ich wieder stabiler und fühlte mich endlich wieder gut. Das war eine Erleichterung, jedoch erlitt ich durch den fehlgeschlagenen Absetzversuch auch einen heftigen Dämpfer. Meine Gedanken waren: „Vielleicht brauche ich die Medikamente mein Leben lang, ohne werde ich wohl wieder depressiv, in meiner Familie gab es auch Depressionen, vielleicht ist es erblich bedingt, meine Hirnchemie funktioniert halt nicht normal, usw.“
2. Absetzversuch:
Mein Wunsch ohne Antidepressiva leben zu können, war jedoch nach wie vor vorhanden und brach sich ungefähr zwei Jahre später wieder in mir Bahn. Dieses Mal jedoch hatte ich ein kleines bisschen mehr übers Absetzen gelesen und entschied mich die Venlafaxin-Kapseln zu öffnen und eines der 6 Pellets aus der Kapsel herauszunehmen. Ein Pellet hat 12,5mg und ich dachte, dass sollte dann doch wohl in diesem Reduktionsschritt kein Problem werden.
Doch auch bei 12,5mg Reduktion merkte ich quasi schon nach zwei Tagen eine deutliche Verschlechterung meines Zustandes. Erneut fühlte ich mich kraftlos, gereizt, dünnhäutig, schummrig, mir war übel und ich hatte das Gefühl ich komme nur mit ganz viel Anstrengung durch den Tag. Ich hielt einige Wochen durch, doch mein Zustand wurde nur schlimmer anstatt besser. Ich hatte das Gefühl ich kämpfte mich nur durch die Tage, alles war einfach nur anstrengend und ich hatte an nichts mehr richtig Spaß. Nach ca. 2 Monaten gab ich erneut auf und ging wieder auf 75mg hoch. Auch dieses Mal ging es mir nach ein paar Wochen wieder gut und ich fühlte mich stabil.
Die Psychiaterin sagte zu meiner Absetzproblematik nur, dass ich das Venlafaxin wohl nicht absetzen könnte und mein Leben lang bräuchte. Ich sagte ihr ich habe von möglichen Absetzerscheinungen gelesen und dass ich vielleicht aufgrund dessen so Probleme habe, wenn ich es reduziere. Doch sie tat es ab und meinte es gebe genug Leute, die es ohne Probleme einfach wieder weglassen könnten und da dies bei mir nicht der Fall wäre, bräuchte ich diese halt einfach.
Diese Worte führten bei mir nach dem Gespräch zu einem emotionalen Zusammenbruch vor lauter Frust, Wut und dem Gefühl völlig Allein gelassen und nicht verstanden zu werden. Das war das letzte Mal, dass ich bei dieser Psychiaterin war.
Erstmal nahm ich das Venlafaxin eine Zeitlang weiter in der Dosierung 75mg, weil ich mich wieder von dem Stress dieses Absetzversuches erholen musste und keine Kraft hatte mich dem erneut auszusetzen.
3. Absetzversuch:
Mit der Zeit suchte ich nach anderen Möglichkeiten und fand einen privaten Psychiater, der zusätzlich auch homöopathisch arbeitete. Ich erhoffte mir, dass er mich vielleicht homöopathisch noch mehr stabilisieren könnte, damit ich das Venlafaxin dann irgendwann leichter absetzen könnte. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, dass eigentlich so gut wie nichts gegen die Entzugssymptome hilft, außer das ganz langsame Reduzieren. Der Psychiater probierte einige homöopathische Mittel an mir aus, bis er mich auf eins einstellte. Es hatte eine ganz leichte Wirkung, mehr aber auch nicht. Nach einiger Zeit fragte ich ihn, ob er mich auf ein anderes Antidepressivum umstellen könnte, damit die Reduzierung dann vielleicht leichter funktionierte. Das verneinte er mit der Begründung das würde Risiken bergen und zudem sei er überzeugt davon, dass das Venlafaxin genau das richtige Antidepressivum für mich wäre.
Er sagte jedoch auch, dass Absetzerscheinungen auftreten könnten, die würden sich jedoch maximal ein paar Wochen halten und dann wieder verschwinden. Darüber hinaus meinte er, dass die vorherige Psychiaterin falsch vorgegangen wäre beim Absetzen. Seiner Meinung nach hätte sie mit mir erst das Venlafaxin ausschleichen und danach erst das Mirtazapin abbauen sollen. Mit dem Hintergrund, dass das Mirtazapin eventuelle Absetzerscheinungen des Venlafaxin eindämmen könnte.
Daraufhin verschrieb er mir 5mg Doxepin, da dieses ebenso eine dämpfende Wirkung, ähnlich wie das Mirtazapin, auf die Absetzsymptome haben sollte.
Parallel suchte ich im Internet weiter nach Hilfen beim Absetzen und stieß auf das ADFD-Forum, heute das PsyAb-Forum. Dort las ich mich sehr viel ein und stieß auf die 5-10% – Absetzformel, bei der man nur 5-10% der Ausgangsdosis reduziert und diesen Schritt dann 6-8 Wochen hält, bevor man den nächsten Reduktionsschritt macht.
Nach längerem Vorbereiten begann ich diese Methode umzusetzen. Ich besorgte mir die Venlafaxin-Kapseln, die ganz viele kleine Kügelchen in den Kapseln haben, um die Reduktionsschritte kleiner machen zu können. Anfangs zählte ich die Kügelchen noch alle ab und reduzierte dann die entsprechende Menge. Später kaufte ich mir eine Milligrammwaage und wog damit die richtige Menge Wirkstoff ab.
Die Reduktion nach der 5-10%-Regel funktionierte fast 1 Jahr lang ziemlich gut. Manchmal hatte ich gar keine und manchmal leichte Absetzsymptome. Diese waren aber gut auszuhalten und beschränkten sich auf Übelkeit, Schwindel und leichten Kraftverlust. Nach ein paar Wochen ließen die Symptome dann meistens nach und ich konnte den nächsten Reduktionsschritt gehen.
Das alles ging, wie gesagt, 1 Jahr gut. Danach glitt ich leider von Woche zu Woche in eine immer schlimmer werdende Entzugskrise ab. Es fing alles damit an, dass ich mich trotz einer Wartezeit von 6-8 Wochen, nach der letzten Reduktion noch immer nicht wieder ganz stabil fühlte. Ich fühlte mich irgendwie noch immer etwas schlapp und kraftlos. Eigentlich hätte ich an diesem Punkt die Venlafaxinmenge entweder halten oder einen Schritt zurückgehen sollen. Doch da ich ein ehrgeiziger Mensch bin, der beim Erreichen seiner Ziele sehr konsequent und zielstrebig sein kann, tat ich dies nicht.
Ich entschied mich stattdessen dazu den nächsten Reduktionsschritt dennoch zu machen. Das hatte demnach leider zur Folge, dass die Entzugsproblematik weiter voranschritt und Ausmaße annahm, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich nahm zu dem Zeitpunkt noch 46mg Venlafaxin. Meine Symptome begannen mit einer geringeren Belastbarkeit, leichten Reizbarkeit, Dünnhäutigkeit und Übelkeit. Ich wurde alle naselang mit irgendeinem Infekt krank und die Symptome nahmen von Woche zu Woche mehr zu. Ich wurde zunehmend geplagt von einer inneren Unruhe, die von morgens bis abends in mir tobte. Ich konnte mich nicht mehr entspannen und fühlte mich wie getrieben. Ich hatte jeden Tag nur noch Durchfall. Es war ein Kampf durch die Tage zu kommen und den Arbeitsalltag noch irgendwie zu bewältigen. Auch eine 2-wöchige Krankschreibung brachte keinerlei Verbesserung. Ich nahm trotz Essen deutlich an Gewicht ab, hatte Druck auf den Ohren und es fiel mir schwer Gesprächen zu folgen. Mein Leben war nur noch ein Kampf, um irgendwie durch die Tage zu kommen. Ich konnte mich nicht an schönen Dingen erfreuen und mir erschien einfach alles zu anstrengend. Jedoch war ein Entspannen und Ausruhen auch in keinster Weise mehr möglich.
Es ging mir sehr schlecht und ich weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe trotzdem meinen Alltag zu bewältigen und arbeiten zu gehen.
Der Psychiater legte mir nahe, das Venlafaxin wieder auf 75mg hochzudosieren, was ich aber auf gar keinen Fall wollte. Ich sträubte mich innerlich so dermaßen dagegen. Jetzt hatte ich es schon so weit geschafft, das wollte ich auf gar keinen Fall aufgeben. Ich versuchte alles Mögliche, um die Symptome zu verbessern. Ich nahm einige Nahrungsergänzungsmittel, stellte meine Ernährung um und machte eine Körpertherapie. Doch es half einfach nichts.
Irgendwann nach über 4 Monaten überzeugte mich der Psychiater wenigstens das Mirtazapin wieder mit reinzunehmen, in der Hoffnung das würde meine Symptome lindern.
Er sagte mir ganz klar, dass ich wieder eine Depression hätte. Und ich weiß noch wie heute, dass ich in mir dachte, das kann doch nicht sein!!! Es war doch nichts vorgefallen in meinem Leben. Es gab kein Problem oder Krise zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben. Zudem fühlte ich mich doch zuvor gut und stabil. Mein Zustand fühlte sich wirklich an wie meine Depression von damals nur mit dem Unterschied, dass es dieses Mal dafür keinen Grund gab, ich nicht ständig weinen oder grübeln musste. Das war ein sehr komisches Gefühl in diesem Zustand zu sein ohne erklärbare bzw. gefühlte Depression.
Ich hatte zwar im ADFD-Forum gelesen, dass Absetzsymptome auch erst verspätet auftreten und sich mit der Zeit verstärken können. Doch hatte ich nicht mit dieser Intensität und diesem Ausmaß gerechnet. Zudem glaubte ich nicht so richtig, dass das alles die Absetzerscheinungen sein sollten. Ich zweifelte an mir und wusste mir keinen Ausweg mehr.
Im Rückblick ist es für mich jetzt alles einleuchtend. Natürlich wäre das einzige was mir Linderung hätte verschaffen können, dass Hochdosieren des Venlafaxin gewesen. Ich hätte einfach einen oder zwei Schritte zurückgehen sollen und diese Menge eine Zeit lang halten sollen. Ich hätte mich anschließend stabilisiert und nach einer längeren Stabilisierungsphase hätte ich erneut einen Reduktionsschritt machen können. Doch leider war ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so weit wie heute und erfuhr keinerlei Unterstützung von Ärzten oder Therapeuten.
Schlussendlich nahm ich dann die 15mg Mirtazapin wieder täglich ein, obwohl ich es viele Jahre zuvor nicht mehr genommen hatte. Meine Hoffnung war mich dadurch wieder genügend zu stabilisieren. Zudem hatte ich die Hoffnung das Mirtazapin später wieder leichter absetzen zu können, da ich es früher schon mal abgesetzt hatte und es deutlich besser ging als beim Venlafaxin.
Doch leider wurde meine Hoffnung nicht erfüllt. Kurzzeitig ließ die innere Unruhe durch das Mirtazapin nach und ich dachte es wird endlich besser. Doch leider hielt dieser Zustand nicht lange an. Schon nach kurzer Zeit war die Unruhe wieder genauso stark da wie zuvor und alle anderen Symptome blieben unverändert.
Ich war kurz vorm Ausflippen, wusste mir keinen Rat mehr und hatte das Gefühl ich halte diesen Zustand nicht mehr länger aus. Die Symptome ließen kein bisschen nach und ich wurde nur jeden Tag mürber und erschöpfter. Nach fast einem halben Jahr war meine Kraft am Ende und ich hatte keine Energie mehr um dagegen zu halten.
Beim nächsten Psychiater Termin sagte der Psychiater mir, dass er keinen anderen Ausweg sehe, als das Venlafaxin wieder hochzusetzen. Ich war so frustriert, fühlte mich elend und geschlagen, wie ein zu Boden getretener Hund.
Ich sah keine andere Möglichkeit mehr, als das Venlafaxin wieder hochzudosieren und mittlerweile wollte ich einfach nur noch, dass dieser furchtbare Zustand endlich aufhörte.
Ich nahm die 75mg Venlafaxin wieder ein und merkte nach etwas über einer Woche eine leichte Besserung der Symptome. Ich merkte, dass ich wieder etwas mehr Kraft bekam, die Unruhe und der Druck auf den Ohren abnahmen, ich wieder mehr Freude empfand und wieder etwas stabiler wurde. Ich hatte zu dieser Zeit auch Urlaub, der mir zur Erholung sehr gut tat und ich dachte nach zwei Wochen, dass es nun überstanden sei.
Doch leider lag ich auch damit falsch. Mein Zustand hielt wahrscheinlich schon zu lange an, als dass ich mich davon schnell wieder hätte erholen können. Als ich nach meinem Urlaub wieder arbeiten ging, kamen die Entzugssymptome mit voller Wucht wieder zurück. Rückblickend hätte ich mich wohl besser für ein paar Wochen krankschreiben lassen bis ich wieder ganz stabil gewesen wäre.
Ich geriet völlig in Panik, als mein Zustand, nach nur ein paar Tagen arbeiten, wieder völlig aus den Angeln gehoben wurde. Alle Symptome waren wieder zurück und ich ein Nervenbündel. Ich konnte einfach nicht mehr und wollte nur, dass es endlich aufhörte.
Schon ca. drei Wochen, nachdem der Psychiater mich wieder auf 75mg Venlafaxin gesetzt hatte, hatte ich erneut einen Termin bei ihm. Ich saß vor ihm, ein Häufchen Elend, völlig frustriert, traurig, ausgelaugt und panisch wie es weitergehen sollte.
Natürlich sagte er, die 75mg würden nicht ausreichen und ich müsste auf 150mg hochgehen. Ich saß dort wie ein getretener Hund, der solange gelitten hatte, dass er nur noch klein bei gab, weil er keine Kraft mehr hatte dagegen zu halten. Ich fuhr völlig frustriert und traurig nach Hause, fühlte mich alleine und hilflos.
Völlig perspektivlos nahm ich ein paar Tage später die 150mg und fühlte mich in den ersten zwei Wochen wie aufgedreht, hatte aber auch mehr Kraft und Antrieb.
Nach ein paar Wochen hatte ich endlich das Gefühl ich tauche aus der Dunkelheit der Entzugssymptome auf und das echte Leben hat mich wieder. Endlich konnte ich wieder lachen, schöne Dinge unternehmen und dabei Freude empfinden.
Ich war in dieser ersten Zeit danach erstmal einfach nur froh, dass es mir nach fast 8 Monaten endlich wieder besser ging.
Dennoch hatte mich diese lange Leidenszeit sehr viel Kraft gekostet. Die Erschöpfung dieses Kampfes dauerte noch Monate an, bis ich mich von diesem wieder ganz erholt hatte.
In den ersten drei Jahren nach dieser Hölle konnte ich innerlich nicht daran denken die Antidepressiva nochmal zu reduzieren. Ich hatte viel zu viel Angst und das Gefühl für diesen Kampf keine Kraft zu haben.
Der Psychiater hat im Nachhinein übrigens zu mir gesagt, ich hätte diese “Depression“, die ja gar keine war und den gescheiterten Absetzversuch gebraucht, um zu akzeptieren, dass ich die Medikamente halt ein Leben lang bräuchte. Auch hat er zu mir gesagt ich sei ja lange mit 75mg ausgekommen, da wäre es doch völlig “normal“, dass ich mal irgendwann mehr bräuchte.
Wenn ich diese Zeilen hier schreibe merke ich innerlich, wie ich schon wieder vor Wut schäume. Wie kann es sein, dass Fachärzte, die durch eine lange Ausbildung gegangen sind keine Ahnung von der Absetzproblematik haben. Das macht mich fassungslos. Und wie kriminell sind die Pharmaunternehmen, die das alles unter den Teppich kehren und verharmlosen.
Auch zu diesem Psychiater ging ich dann, nachdem ich mich soweit wieder stabilisiert hatte, nicht mehr.
Im vierten Absetzversuch:
Nach all diesen fehlgeschlagenen Absetzversuchen, der Leidenszeit und dem großen Rückschlag auf einer höheren Dosis Venlafaxin zu sein als jemals zuvor, beschlich mich nach drei Jahren aber erneut der Wunsch die Antidepressiva irgendwann absetzen zu können. Es konnte doch nicht sein, dass ich sie nicht loswerde, obwohl ich mich doch psychisch stabil fühle. Das innere Bestreben und Sehnen danach wurde immer stärker.
Ich las mich erneut in die Materie ein und suchte nach Möglichkeiten das Venlafaxin sicher zu reduzieren. Das Mirtazapin ließ ich erstmal außen vor und fokussierte mich auf das Venlafaxin, da mir vom Psychiater damals geraten wurde diese Reihenfolge einzuhalten, um dadurch die Absetzsymptome möglicherweise abzuschwächen.
Ich stieß auf das Buch von Dr. Peter und Mahinda Ansari ´Genug geschluckt´. Ich fühlte mich in dem Buch so dermaßen verstanden und erkannte mich in allen beschriebenen Phänomenen wieder. Ich stöberte auf ihrer Internetseite und las dort viele Artikel. Obwohl ich auch vor Jahren im ADFD-Forum gelesen hatte, dass die Absetzerscheinungen auch verspätet auftreten können und in welcher Heftigkeit und Langwierigkeit sie auftreten können, wurde es mir doch erst durch das Lesen dieses Buches vollkommen bewusst. Erst zu diesem Zeitpunkt fiel der Groschen bei mir so richtig und begriff ich, dass ich all die Jahre keine Depressionen hatte, sondern meine Zustände allein durch das Absetzen ausgelöst wurde.
Ich kann gar nicht sagen wie fassungslos, frustriert und wütend ich mich zu diesem Zeitpunkt über all das, was geschehen war, fühlte.
Doch löste dieser klare Blick bei mir auch den Kampfgeist aus, einen Weg zu finden und dauere er noch so lange, um von den Antidepressiva loszukommen.
Mein Weg führte mich anschließend zu einer Heilpraktikerin, die auch Dinge kinesiologisch austestet. Von ihr ließ ich anfangs an mir kinesiologisch austesten wie viel und über wie viele Wochen ich vom Venlafaxin herunterdosieren könnte. So begann ich langsam meinen vierten Absetzversuch. Die erste Zeit klappte das Herunterdosieren problemlos.
Ich dosierte jedoch nur 1mg in der Woche herunter. Manchmal dosierte ich drei Wochen 1mg hintereinander herunter bis ich eine Pause machte. Ein anderes Mal dosierte ich nur 1mg herunter und machte dann wieder eine Pause. Auch die Länge der Pausen passte ich individuell an mein Befinden und an das an, was gerade in meinem Leben los war.
Das alles funktionierte bis in den November 2023 hinein sehr gut ohne große Absetzerscheinungen. Meine Intuition sagte mir im November letzten Jahres schon, dass ich doch lieber nicht weiter herunterdosieren sollte, sondern lieber warten sollte. Doch leider kam mir da wieder mal mein kopfgesteuerter Ehrgeiz in die Quere, der mir sagte ich müsse weiter gehen, sonst würde es noch länger dauern. Also ging ich weiter hinunter mit der Folge, dass ich mich wieder kraftlos, dünnhäutig und gereizt fühlte. Ich bekam eine Erkältung nach der nächsten, wurde von einem ekelhaften Schwindel geplagt und nahm trotz ausreichendem Essen wieder ab. Ich erholte mich trotz Urlaub über Weihnachten und Silvester nicht.
Da bekam ich erneut Panik, ging den letzten Absetzschritt zurück, aber es wurde nicht besser. Daraufhin ließ ich von der Heilpraktikerin wieder kinesiologisch austesten, was jetzt für meinen Körper das Beste wäre. Leider sagte die Testung, dass ich 10mg wieder hochdosieren sollte, diese Dosierung acht Wochen halten sollte und dann erneut mit der Reduktion fortfahren könnte.
Nach diesem Ergebnis brach ich mal wieder in Tränen aus vor lauter Frust. Jetzt war ich doch schon so vorsichtig gewesen und dennoch bin ich in diesen Zustand geraten. Ich hatte Monate gebraucht um diese 10mg herunterzugehen und musste sie jetzt wieder hochgehen. Ich weiß noch wie ich zu meinem Partner unter Tränen gesagt habe, dass ich doch sonst immer, wenn ich mir etwas vornehme, es auch umgesetzt bekomme, aber es bei der Venlafaxinreduktion nicht funktioniere und ich dem völlig ausgeliefert sei.
Kurz nach diesem emotionalen Ausbruch ging ich jedoch diese 10 mg wieder hoch, da ich auf die kinesiologische Testung meines Körpers vertraute und ich auf gar keinen Fall mehr in den Zustand von meinem dritten Absetzversuch kommen wollte.
Es dauerte einige Wochen bis ich mich Stück für Stück wieder stabilisierte und ich konnte tatsächlich nach 8 Wochen wieder langsam reduzieren.
Von da an, das war ungefähr Anfang März diesen Jahres bis Mitte Oktober habe ich jetzt ganz langsam mal hier mal dort 1mg reduziert. Manchmal ein paar Wochen nacheinander, manchmal ein paar Wochen nicht. Immer wenn es gerade in meinem Leben etwas stressiger war, habe ich pausiert. Sobald ich mich gut fühlte bin ich 1mg heruntergegangen. Mitte Oktober diesen Jahres hatte ich das Gefühl es wäre besser die Reduktion für den Winter zu stoppen. Ich möchte nicht wie letzten Winter wieder in diesen Entzugszustand gelangen und wieder 10mg hochdosieren müssen. Um sicher zu gehen, dass ich mit meiner Intuition richtig liege, habe ich dies erneut kinesiologisch austesten lassen. Die Austestung bestätigte meine Intuition und somit habe ich die Reduktion jetzt erstmal bis Ende Februar gestoppt.
Ich bin jetzt bei 128mg Venlafaxin und habe noch einen weiten Weg vor mir. Ich versuche meinen inneren Antreiber in Schach zu halten und wirklich auf meine Körperintelligenz zu hören. Das ist für mich oft schwierig, weil ich ein eher ungeduldiger Mensch bin, wenn es darum geht meine Ziele zu erreichen. Es ist aber auch ein gutes Training, um auf meine Körpersignale und meine Intuition zu hören, die genau wissen was für mich das Beste ist.
Ich musste in all den Jahren lernen und akzeptieren, dass ich hochsensibel auf schon kleinste Venlafaxinreduktionen reagiere. Ich bin ein sehr sensibler Mensch, was die Reduktion erschwert und es für mich notwendig macht diese feinfühlig an meine Bedürfnisse anzupassen.
Zudem haben die ganzen Fehlschläge in mir auch viel Angst ausgelöst. Bei dem kleinsten Unwohlsein bin ich sofort auf der Hut und habe Angst, dass mein Unwohlsein an der Medikamentenreduktion liegt und ich wieder in einen furchtbaren Entzugszustand gelange. Es ist für mich oft schwierig abzuspüren, ob es jetzt “nur“ meine Angst ist, ob es ein Unwohlsein aufgrund von anderen Dingen ist oder ob es wirklich die Entzugssymptome sind. Ich habe in solchen Situationen mittlerweile den für mich richtigen Lösungsweg der kinesiologischen Testung gefunden. Diese gibt mir in den unsicheren Momenten, die für meinen Körper beste Richtung und dadurch Sicherheit.
Wenn ich es mal schaffen sollte, die Antidepressiva, im Besonderen das Venlafaxin, auszuschleichen, dann wird es sicherlich noch 10 oder mehr Jahre dauern. Doch das ist für mich der einzige Weg dorthin zu kommen und ich möchte zudem mein Leben in dieser Zeit des Entzugs dennoch genießen und nicht nur leiden. Deswegen musste ich mich wohl oder übel für diesen sehr sanften und langen Weg entschieden und hoffe er führt mich irgendwann in die Antidepressivafreiheit.
Ich weiß es wird sicherlich auch noch den einen oder anderen Rückschlag geben, doch mein Wunsch ist so stark in mir vorhanden und ich bin eine Kämpfernatur mit einem guten Durchhaltevermögen.
Meine Gefühle der Wut und Ungerechtigkeit darüber, wie das System läuft, wie leichtfertig Antidepressiva verschrieben und wie fahrlässig mit der Gesundheit / Krankheit von Menschen umgegangen wird, kommen immer mal wieder in mir hoch. Doch um meinen Weg des Entzugs besser gehen zu können, ist es für mich wichtig nicht nur das Negative an meiner Medikamentenabhängigkeit zu sehen, sondern auch etwas Positives daran zu erkennen. Und für mich ist das Positive, das ich aus all dem ziehe, dass ich immer besser lernen darf auf meine Intuition sowie meine inneren Signale zu hören, diesen zu vertrauen und mich weniger vom außen leiten zu lasse.
Ich freue mich, wenn sich durch meine Geschichte der ein oder andere Gleichgesinnte verstanden fühlt und ich einen kleinen Beitrag leisten kann, um über die Abhängigkeit der Antidepressiva aufzuklären.
Ich wünsche mir und allen, die das Gleiche oder Ähnliches durchmachen müssen, dass wir unseren Empfindungen und inneren Wahrheiten vertrauen lernen und einen Weg finden werden, der uns schlussendlich in die Antidepressivafreiheit führen wird.
Eure Luna