Suizide und Antidepressiva – Update 2014

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Eine Studie von Harvard Wissenschaftlern hat nach Auswertung von 163.000 Patientendaten herausgefunden, das Menschen, die unter 25 Jahre alt sind, unter hochdosierten Antidepressiva ein um das Doppelte erhöhte Suizidrisiko haben.

Die Tageszeitung The Times berichtete im Jahr 2014 über eine Verbindung von Antidepressiva und Suiziden bei Jugendlichen.

 Deutsche Psychiater verschweigen den internationalen Wissensstand

Bereits im Jahr 2007 zwang die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA sämtliche Hersteller der neueren Antidepressiva, einen Warnhinweis („Black Box Warning„) anzubringen, der das Risiko der erhöhten Suizidgefährdung bei Menschen unter 25 Jahren beschreibt. Vorrausgegangen war ein 16 (!) Jahre andauernder Streit, der auf wissenschaftlichen Methoden basierte und von den Pharmaherstellern mit allen verfügbaren Rechtsmitteln bekämpft wurde.

In Großbritannien existieren ebenfalls von der MHRA Behörde zahlreiche Warnhinweise für die Anwendung neuer Antidepressiva, dabei wird auch auf die wissenschaftlich belegte Gefahr der Entstehung einer Abhängigkeit hingewiesen.

Die neue Harvard-Studie wurde angefertigt, da mehrere Pharmafirmen Zweifel an den Ergebnissen der ersten Studie äußerten. Die offensichtlichste Veränderung ist diesmal in der Größe der Studie zu sehen. Während die ältere Studie auf Daten von zehntausenden Patienten basierte, sind für die neue Studie die Daten von 163.000 Patienten ausgewertet worden. Das Ergebnis ist erneut eindeutig ausgefallen und beschreibt ein um den Faktor 2,2 erhöhtes Suizidrisiko für jugendliche und junge Erwachsene unter antidepressiver Medikation.

Über die Diskussion, die diese Studie auslöste, berichteten im Jahr 2014 zwei deutsche Psychiater im Fachblatt Der Nervenarzt. Sie untersuchten dafür den wissenschaftlichen Hintergrund von Antidepressiva und Suizidalität.

Im Text ist zu lesen: dass „nach systematischer Literaturrecherche“ … „ein wissenschaftlicher Konsens darüber besteht, dass der Nutzen der antidepressiven Pharmakotherapie … die Risiken … überwiegt“.

Das klingt erstaunlich – tatsächlich sehen die deutschen Experten noch nicht einmal einen Diskussionsbedarf.

Am meisten ärgert an der deutschen Übersichtsarbeit jedoch der Satz: „Die zu Behandlungsbeginn gelegentlich auftretende Unruhe kann bei entsprechend disponierten Patienten in seltenen Fällen als so aversiv erlebt werden, dass Suizidgedanken oder -handlungen verstärkt oder sogar ausgelöst werden.“  [Denn genau diese Aktivierung durch Antidepressiva ist wissenschaftlich bestätigt, unter dem Fachbegriff Akathisie bekannt und gilt als extrem bedrohlich, wenn sie bei depressiven Patienten auftritt. Tatsächlich berichteten zahlreiche Eltern, dass ihre Kinder genau dieses – von den Tabletten induzierte – Verhalten zeigten, kurz bevor sie sich das Leben nahmen. – Anmerkung P. A.].

Besonders bedenklich erscheint, das die erhöhte Dosierung der Mittel – die der Studie zufolge die Suizide verursacht hat – von den deutschen Experten nicht als Warnhinweis verstanden wird, der den Ärzten kommuniziert werden soll.

Dem deutschen Nicht-Fachpublikum erklärte ein anderer Experte den Bericht mit den folgenden Worten:

Professor Voderholze sagte der Apotheken-Umschau-online: „Das Risiko, dass durch Gabe eines Antidepressivum ein Selbstmord (Suizid) ausgelöst wird, ist jedoch erwiesenermaßen sehr gering. [Aber es ist wissenschaftlich belegt! – Anmerkung P. A.]
Es gibt vielmehr Hinweise, dass insgesamt durch die weltweit zunehmende Verordnung der Antidepressiva das Suizidrisiko gesunken ist.“ [Nein, genau solche Hinweise gibt es nicht. Hinweise sind nichts anderes als Vermutungen, das ist keine Wissenschaft! – Anmerkung P. A.]

Die lobenswerte Ausnahme auf deutscher Seite bildet Thomas Bschor. Bereits im Jahr 2008 erwiderte er auf eine Arbeit von Hegerl, dass weltweit in keiner einzigen Studie eine Verringerung der Suizidrate unter Antidepressiva festgestellt wurde – im Vergleich zu einer Placebomedikation. Tatsächlich sind damals die Daten von mehreren zehntausend Patienten zu genau dieser Frage untersucht worden und die amerikanische Behörde FDA hat daraus dieses Resultat abgeleitet:

Eine antidepressive Medikation verringert das Suizidrisiko nicht!

Matthew Miller, der Autor der Harvard-Studie von 2014 erklärte, dass er es für nötig hält, die Risiken der Antidepressiva auf zu zeigen, um eine Diskussion über Behandlungsalternativen zu eröffnen. In Deutschland erklären die Experten, dass eine solche Diskussion nicht nötig ist und lehnen es ab, über die Gefährdungen zu sprechen oder darauf hinzuweisen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob dies für die Patienten hilfreich ist.

Depression-Heute: Viele Psychiater behaupten, dass eine antidepressive Medikation Suizide verhindert. Das ist unwahr. Trotz großangelegter Studien konnte noch nie ein schützender Einfluss einer antidepressiven Medikation nachgewiesen werden (Link).
Die neue Studie beschreibt stattdessen, dass unter einer hochdosierten antidepressiven Medikation das Suizidrisiko um den Faktor 2,2 erhöht ist. Bemerkenswert ist an der Studie vor allem das umfangreiche Datenmaterial von 163.000 Patienten, sowie die sorgfältige Auswertung.

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