Rückschau Herford 2017 – Die Zukunft der Antidepressiva
Die Veranstalter der Zukunft der Antidepressiva-Tagung in Herford haben bewiesen, wie viel Einzelne bewegen können. Deswegen zuallererst ein großes Dankeschön an Wolf und Günter aber natürlich auch an die vielen ehrenamtlichen Helfer, ohne die diese Tagung nicht möglich gewesen wäre. Es kamen knapp 200 Teilnehmer, unter ihnen 21 Ärzte (es gibt auch hier einen großen Bedarf nach unabhängigen Informationen!). Die Tagung war ein voller Erfolg in stilvollem Ambiente:
Podiumsdiskussion. Von links: Dr. Peter Ansari, Dr. Wolf Müller, Prof. Bruno Müller-Oerlinghausen, Prof. David Healy und die Übersetzerin.
Rückschau auf die Tagung über die Zukunft der Antidepressiva im Marta Herford
Sie begann mit einem leidenschaftlichen Vortrag über Hirnrhythmen von Frau Teuchert-Noodt, die stets betonte, dass eine dauerhafte Medikamentengabe das filigrane Zusammenspiel der unterschiedlichen Gehirnbestandteile in hohem Maße aus dem Takt bringe und daher abzulehnen sei.
Anschließend erläuterte der langjährige Vorsitzende der deutschen Arzneimittelkommission, Pharmakologe und Professor der Charité Bruno Müller-Oerlinghausen, das Aufkommen der Antidepressiva. Kaum ein anderer Referent in Deutschland dürfte eine ähnlich umfassende Erfahrung auf dem Gebiet der Psychopharmakologie aufweisen. Als junger Mann arbeitete er in der örtlichen Psychiatrie und hatte dort in den fünfziger Jahren die Einführung des ersten Neuroleptikums Chlorpromazin miterlebt, eines Mittels, das die weltweite Psychiatrie revolutionierte. Zu Recht, erinnert sich Müller-Oerlinghausen, für ihn gab es eine Psychiatrie vor Chlorpromazin und eine Psychiatrie danach. Ganz anders erlebt er jedoch die Einführung der Antidepressiva. Diese Medikamente spielten nie eine wirklich große Rolle bei den Erkrankten. Man gab sie und wartete ab, bei manchen wirkten sie, doch eine Revolution stellten sie nie dar. Sie wirkten zu selten und selbst wenn sich Besserungen anzeigten, dauerte es stets sehr lange bis diese eintraten. Viele Patienten litten stark unter den Nebenwirkungen.
Erst ab 1988 zeigte sich eine Revolution. Jedoch nicht im Bereich der klinischen Wirkung. Stattdessen startete die Firma Eli Lilly die bis dato größte Marketingoffensive, die es jemals zuvor für ein verschreibungspflichtiges Medikament gegeben hatte. Die Firma behauptete, ein Mangel an Serotonin würde eine Depression verursachen und ihr Medikament könnte dieses Defizit beheben. Obwohl es für diese These nie belastbare klinische Daten gegeben hatte, wurde sie mit viel Geld und geschickten Beeinflussungen in die Köpfe der Psychiater hineinimplementiert. „Und von dieser Gehirnwäsche hat sich die Psychiatrie immer noch nicht erholt“. Müller-Oerlinghausen untersuchte als Pharmakologe und Leiter der Depressions-Ambulanz an der Charité den Zusammenhang zwischen Serotonin und Depressionen. Er war ab dem Jahr 2000 mehr als überrascht, als ihm bewusstwurde, wie wenig belastbare Daten über die Pharmakologie der Depressionsbehandlung vorlagen und mit was für geschickt manipulierten Daten seine forschenden Kollegen und er getäuscht wurden und noch immer getäuscht werden. Als einzig zuverlässiges Mittel, das Suizide verhindern kann, lobte er das Lithiumsalz, das viel zu selten verordnet werde.
Der irische Forscher und Psychiatrie-Professor David Healy berichtete über Fälschungen von renommierten Kinderpsychiatern, die dazu führten dass zehntausende Teenager mit Antidepressiva behandelt wurden. Skandalös war, dass die Studie des Herstellers eine deutliche Erhöhung von suizidalen Handlungen bei den Jugendlichen aufzeigte, die das Medikament eingenommen hatten. Als die Öffentlichkeit durch Recherchen der BBC davon erfuhr wurde der Pharmahersteller zu einer Strafe in Höhe von insgesamt drei Milliarden Dollar verurteilt. Erstaunlicherweise blieben sämtliche Professoren, die an der Schande mitgewirkt hatten, in Amt und Würden.
Erstmals präsentierte David Healy auf der Tagung in Herford Daten, die aufzeigten, dass in nahezu sämtlichen Antidepressiva-Studien, die an Kindern und Jugendlichen durchgeführt wurden, es den Kindern mit Depressionen signifikant schlechter ging, wenn sie das antidepressive Medikament erhalten hatten, anstelle des Placebos. Healy fragte: „Wie lange wollen wir noch erlauben, dass solche Tests durchgeführt werden?“ Dieser Punkt wird Gegenstand eines gesonderten, neuen Artikels auf Depression-Heute sein.
Peter Ansari berichtete über Misserfolge in der klinischen Erprobung der Antidepressiva und die tatsächliche Studienlage. Demnach wirken Antidepressiva nur selten, besitzen jedoch starke Nebenwirkungen. 80 bis 90 Prozent der behandelten Patienten erleiden sexuelle Funktionsstörungen, ohne dass sich ihre Depression bessert. Für eine dauerhafte Verschreibung, die einen Zeitraum von 12 Monaten übersteigt, fehlt jedwede solide klinische Studienlage. Jedoch steigt mit zunehmender Einnahmedauer das Risiko eine Abhängigkeit von den Medikamenten zu entwickeln.
Zu Ansaris Präsentation
Herford 2017
In der Diskussionsrunde thematisierte David Healy ein wichtiges Problem. Die Zuhörer ordneten sich viel zu selbstverständlich in die Rolle der Fragenden ein, anstatt auf Augenhöhe und gemeinsam mit den Experten nach Lösungen zu suchen. Dementsprechend würden auch viel zu häufig Patienten akzeptieren, ihr Arzt könnte wissen, was für sie richtig ist. Besser wäre es gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die auf die individuelle Situation des Patienten passen.
Wir hoffen mit der Tagung vielen eine andere Sicht auf Antidepressiva ermöglicht zu haben und haben uns sehr gefreut, dass jeder Arzt, der zu dieser Tagung kam für seine Teilnahme mit acht Fortbildungspunkte von der Ärztekammer belohnt wurde.
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