Rezension J. Schlimme und B. Brückner: Die abklingende Psychose

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Psychiater Dr. Dr. Jann Schlimme

Psychiatern wird oft vorgeworfen, sie behandeln akut erkrankte Patienten mit viel zu hohen Dosen von Neuroleptika. Damit helfen sie den Patienten nicht, sondern stellen nur sicher, dass die Abläufe in der Klinik funktionieren. Was der Patient jedoch am meisten auf seinem Weg zur Genesung benötigt, sind Zuwendung und Interesse – doch genau das erhält er in der Klinik nicht.

Jann Schlimme ist ein erfreulicher Gegenentwurf. In seinem Buch „Die abklingende Psychose“ beschreibt der Psychiater gemeinsam mit seinem psychologischen Kollegen Burkhart Brückner, wie man zu einem schwer kranken Patienten Kontakt aufnehmen kann, wie es gelingen kann, ihn zu verstehen und wie man dadurch „anders therapieren“ kann.

Psychiater Dr. Dr. Jann Schlimme
Der Psychiater Dr. Dr. Jann Schlimme (Berlin)

Schlimme schreibt: „Psychosen klingen ab, wenn die Betroffenen sich über ihre Erfahrungen und Hintergründe sinnvoll verständigen können“. Und er ist sicher: „Man muss nicht jede Psychose mit Neuroleptika behandeln.“

Der ehemalige Charité-Arzt, der neben seinem medizinischen Doktortitel auch einen Doktortitel in Philosophie besitzt, kennt die psychiatrische Landschaft nicht nur in praktischer Hinsicht, in seinem 20-seitigen Literaturverzeichnis finden auch Profis viele Anregungen.

Neben Schlimme und Brückner kommen in dem 272-seitigen Werk mit Amelie Palmer, Birgit Hase und anderen auch Betroffene in gemeinsamen Beiträgen zu Wort und berichten über ihre Erfahrungen während der Psychose und in der Zeit ihrer Genesung.

Es ist den Autoren gelungen, Psychoseerfahrungen zu entwirren und einen Zusammenhang für das psychotische Erleben zu finden.

Zweifelsohne ist das eine der schwersten, aber auch wichtigsten Arbeiten innerhalb von Psychiatrie und Psychologie. Sie erfordert vom Therapeuten, dass er sich vom etablierten System entfernt.
Möglicherweise gehen viele diesen Weg aus Unsicherheit nicht, sondern versuchen stattdessen jede Psychose medikamentös zu „ersticken“. Die Folgen sind bekannt: Ein Patient, der nicht verstanden wird, läuft Gefahr eine psychiatrische „Lebenskariere“ einzuschlagen.

Schlimmes und Brückners Konzept einer Genesung von der Psychose basiert auf einem dreigliedrigen Prozess:

  • Erschaffen eines bedeutungsdosierten Sozialraum, in dem der Patient sich ausprobieren darf
  • Dem Einüben von Abschalttechniken
  • Dem Erschaffen von Erzählräumen, in denen der Patient das Reden und Zuhören über die neuen Erfahrungen erlernt.

Mit diesen Methoden sollen Psychiater Anknüpfungspunkte bei schwer erkrankten Menschen finden.

Ob und wie viel Neuroleptika in dem Prozess gegeben werden, lassen die Autoren bewusst offen. Sie haben eine klare Einstellung zu den Medikamenten: „Neuroleptika verringern zwar den Umfang, die Intensität und die Dauer von Halluzinationen und wahnhaften Symptomen, verbessern aber weder abseits akut psychotischer Phasen die kognitiven Fähigkeiten noch die körperliche Leistungsfähigkeit.“ (S. 197)

Es wäre schön, wenn viele Psychiater das Buch lesen und sich daran erinnern, dass die schwierigen und sehr kranken Patienten am dringendsten Hilfe benötigen und dass eine Hilfe nur zielführend sein kann, wenn es dem Therapeuten gelingt, den Kranken als Mensch mit Bedürfnissen wahrzunehmen.

Zum Buch:
„Die abklingende Psychose“

„Die abklingende Psychose“ ist im Psychiatrie-Verlag erschienen, hat 272 Seiten und kostet 29,95 €

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