Rezension: Die Depressions-Falle von Thorsten Padberg

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Von Gastautor Jürgen Karres

In meinem Gastbeitrag für Depression heute im Juli hatte ich beklagt, wie traurig es um die Therapie depressiver Patienten in unserem Land aussieht. Mein Schlussstatement damals lautete: „Man kann diesem System leider nicht mehr vertrauen!“

    Nun sage ich, dass Hoffnung aufkeimt! Grund dafür ist, dass in den letzten Jahren doch einige Bücher auf den Markt gekommen sind, die realistisch über Depressionen und eine hilfreiche  Behandlung informieren. Jüngster Titel in dieser Reihe ist das Buch „Die Depressions-Falle“ des Berliner Verhaltenstherapeuten Thorsten Padberg, das den interessanten Untertitel “Wie wir Menschen für krank erklären, statt ihnen zu helfen“ trägt.

    Und in der Tat, in unserem Gesundheitssystem werden immer mehr Menschen als an Depressionen erkrankt diagnostiziert! Ein Fakt, der in krassem Gegensatz zu der ebenfalls immer umfassenderen Verordnung von Antidepressiva steht: von weniger als 200 Millionen Tagesdosen in Deutschland im Jahre 1990 stiegen lt. Angaben des Autors die Zahlen auf 1,5 Milliarden in 2018 (a.a.O., S. 21f). Logischerweise hätte mit dieser massenhaften Verschreibung auch die Zahl der Depressionserkrankungen sinken müssen – es sei denn, es handelt sich um nichtwirksame Medikamente. Und in der Tat, seit der berühmten Kirsch-Studie aus dem Jahr 2008 wurde für alle, die es sehen wollten, klar: „Der Erfolg der Pillen ist ein Scheinerfolg“ (S. 19). Oder anders ausgedrückt, bei der pharmakologischen Behandlung der Depressionen wird ein „in Wahrheit chemisch fast wirkungsloses Medikament“ verordnet, das „Effekte in der Größenordnung eines Placebos erzeugt“ (S. 22f).

    Wer nun Irving Kirsch mir der neueren und höchst umfangreichen Meta-Studie von Cipriani et al. aus dem Jahr 2018 widerlegen möchte, dem seien die Ausführungen Padbergs auf den Seiten 212ff. empfohlen. Sein Schluss lautet: “Die Cipriani-Studie, gefeiert als die endgültige Wirksamkeit sämtlicher Antidepressiva“ – so wurde sie in der Presse und von Pharmakreisen oftmals dargestellt! – „hatte am Ende nur belegt, was seit langem bekannt war: Der Unterschied zwischen Placebo und Antidepressivum ist in der Praxis sehr, sehr klein“ (S. 214).

    Nun wird die Desillusionierung des medikamentösen Ansatzes[1] bei vielen mit ADs behandelten Patient:innen vermutlich Verzweiflung auslösen, denn man/frau hatte ja auf diese ärztliche Verheißung vertraut. Was daher Not tut ist eine Alternative! Padberg liefert sie nicht nur im letzten Kapitel unter der Überschrift „Wege aus der Depressions-Falle“, sondern im Grunde mit seinem gesamten Buch. Denn zu einer anderen Depressionstherapie kann man nur gelangen, wenn man die Depression anders denkt! Und Padbergs Ausführungen stellen von der ersten Seite an „das Konzept der Depression in seiner jetzigen Form in Frage“ (S. 9). Dieses Unterfangen gelingt beeindruckend. Er stellt mit seinem Buch gewissermaßen die Depression vom Kopf wieder auf die Füße und liefert einen neuen (und gleichzeitig „alten“) Ansatz, der Depressionen weit besser erklärt, als das enge, einseitige und letztlich falsche biologische Modell.

    Padberg wird dem manchmal ungeheuren Leid der Depression voll gerecht, weigert sich aber, Depressionen generell als „Krankheit“ zu sehen. Und dies ist vielleicht der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Diskussion! Die Depression wird heute ja als Stoffwechselstörung und damit als körperliche Erkrankung aufgefasst. Und – wie von vielen Psychiatern immer wieder betont (vgl. Hegerl & Co.) – als „Krankheit wie andere Krankheiten auch“. Somit in ein medizinisches Modell eingeordnet. Doch ist dem auch wirklich so? Padberg widerspricht entschieden, macht darauf aufmerksam, dass durch eine solche Fassung „nicht nur wichtige soziale Faktoren aus dem Blickfeld geraten, [sondern] zugleich die Möglichkeiten kleiner werden, mit dem, was uns im Leben belastet, umzugehen“ (S. 10).

    Und eben diese, seit der Herrschaftsübernahme durch die Biologische Psychiatrie verschüt-tet gegangenen Möglichkeiten, gräbt Padberg nun aus. Wichtigster Schritt auf diesem Weg ist ihm zunächst, wieder den reaktiven Charakter der allermeisten Depressionen anzuerkennen. Denn es war ein Grundfehler der Psychiatrie ab dem DSM-III von 1980 rein auf Symptome zu fokussieren (siehe die entsprechenden Listen in den Diagnosekatalogen), statt den Zusammen-hang mit lebensgeschichtlichen Hintergründen zu eruieren. Eine derartige isolierte Symptom-betrachtung musste in die Irre führen und ist mitverantwortlich dafür, dass heute „vieles zur Krankheit erklärt wird, was früher einmal als nachvollziehbar und gesund galt“ (S. 63). Nicht jedes Leiden ist eben Krankheit und „Depressive haben keine Krankheit wie jene, die mit den üblichen Methoden der Medizin behandelt werden“, sondern „Depressionen sind ein Leiden völlig anderer Art“ (S. 11).

    Diese Leiden erfordert natürlich Hilfe! Padberg skizziert sie als im psychotherapeutischen Feld gelegen. Also reden, verstehen, die hinter (bzw. vor) der Depression liegende Geschichte im Gespräch mit dem Klienten/Patienten wieder kenntlich machen, gemeinsam ein persönliches Narrativ entwickeln, das Sinn ergibt. Soweit ja nichts Neues, wenngleich völlig anders als der zur Passivität einladende Weg der Pharmakotherapie. Und doch bezieht Padberg etwas ein, was auch die meisten Psychotherapeuten in ihrer lemminghaften Nachfolge des medizinischen Weges meist vernachlässigen: Er stellt die überragende Bedeutung sozialer Faktoren heraus! Depression wir nun mal erst verständlich, wenn man die Gesellschaft, in der sie (angeblich massenhaft!) auftritt, mitberücksichtigt. Moderne Arbeitsbedingungen also, die ständige Reizüberflutung, nicht erfüllbare Optimierungsansprüche, ggf. schlechte Wohnverhältnisse (besonders jetzt in der Corona-Epidemie!), Armut bzw. beständiger finanzieller Druck, etc. spielen hier mit rein. Und ja, man sollte endlich mal, wie von Padberg gefordert, eine Studie machen, wo solche gesellschaftlichen Faktoren mit Einfluss auf die Depression untersucht werden. In Brasilien erfolgte dies bereits, mit Daten von über 70 Millionen sozial schlecht gestellten Menschen, denen man ein festes Grundeinkommen zahlte. Moncrieff benennt das Ergebnis folgendermaßen: „Es war schlicht und einfach soziales Leid. Wir haben dieses Unglück zu einem medizinischen Thema gemacht“ (S. 221)   

    Fassen wir zusammen: Das biologisch-medizinische Modell von Depressionen inkl. der daraus abgeleiteten Antidepressiva-Behandlung zeitigt in der Summe seit Jahrzehnten(!) keine Erfolge. Was wir brauchen ist eine anderer, wirklich psycho-sozialer Ansatz, der auch unbe-dingt wieder politisch angelegt sein muss. Eine Veränderung der Verhältnisse wird gewiss nicht das gesamte depressive Leid beseitigen, ist aber zweifelsfrei ein (lange grob vernachläs-sigter) depressogener Mit-Faktor. Dies im Zusammenspiel mit einer entsprechend strukturier-ten und beziehungsorientierten Psychotherapie, die Selbsthilfeaspekte wesentlich miteinbe-zieht, würde (neue) Wege aus dem depressiven Leid eröffnen. Thorsten Padberg hat mit seinem immens wichtigen, im Ton sanften, im Inhalt aber radikal-umstürzlerischen Buch zu dieser Hoffnung wesentlich beigetragen. Danke!

Von Gastautor: Jürgen Karres / Landsberg am Lech

Thorsten Padberg
Die Depressionsfalle
Wie wir Menschen für krank erklären, statt ihnen zu helfen
Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2021
272 S., 23 Euro
Fischer Verlag Link


[1] Angemerkt sei hier, dass Padberg kein radikaler Gegner von Psychopharmaka ist, sondern ihren Einsatz in bestimmten Situationen und für kurze Zeiträume als durchaus sinnvoll erachtet. In diesem Zusammenhang weist er auch auf den sog.  „Medikamentenzentrierten Ansatz“ von Joanna Moncrieff hin (S. 215f).

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