Klinische Studien in der Psychiatrie – Suizide und die Konstruktion eines Nutzen

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Pillensuizid

Bevor Datenmanipulationen Bestandteil des normalen Tagesgeschäfts wurden, lehnte das Bundesgesundheitsamt die Zulassungsanträge von Prozac (Fluctin) wegen fehlender Wirksamkeit zweimal ab. Im Jahr 1990 waren die Studienergebnisse aber plötzlich so gut, dass eine Zulassung erfolgte.

Pillensuizid

In klinischen Studien zu Antidepressiva treten häufiger Suizide und Suizidversuche auf. In den meisten Fällen wird behauptet, die Erkrankung wäre dafür verantwortlich und nicht die Medikamente. Wenn jedoch Antidepressiva zu anderen Zwecken eingesetzt werden, beispielsweise wenn der Wirkstoff Duloxetin gegen Harninkontinenz verschrieben wird, zeigt sich, dass die damit behandelten Personen doppelt so häufig Suizidversuche unternehmen, wie vergleichbare andere Personen.

Die Wirksamkeit eines Antidepressivums wird in klinischen Studien ermittelt – den Auftrag für diese Studien erteilt in der Regel das Pharmaunternehmen dessen Medikament getestet werden soll.

Marcia Angell, die ehemalige Herausgeberin des New England Journal of Medicine, schrieb:

„Ich habe den größten Teil meines Berufslebens damit verbracht, die Qualität der klinischen Forschung zu bewerten, und ich glaube, dass diese Qualität in der Psychiatrie besonders schlecht ist. … Die Studien sind bereits vorab so angelegt, das das Medikament begünstigt ist, und weisen einen Nutzen aus, der so gering ist, dass er die langfristigen Schäden wahrscheinlich nicht überwiegt.“ Marcia Angell in The New York Review of Books (2011)

In der psychiatrischen Forschung werden meist Parallelgruppenversuche durchgeführt. Eigentlich sind Crossover-Versuche effizienter, da für die Entdeckung eines klinischen Effekts weniger Teilnehmer benötigt werden – jedoch setzen Crossover-Versuche eine Wirkung bei den meisten Teilnehmern voraus und das ist bei antidepressiven Medikamenten nicht der Fall.

Bei etwa 50 Prozent aller depressiven Patienten wirken die Medikamente nicht oder die Nebenwirkungen sind so stark, dass sie die Medikamente nach ein bis zwei Monaten absetzen. (Serna et al. 2010). Obwohl die Medikamente der Vorschrift zufolge mindestens sechs Monate lang eingenommen werden sollen.

Bei den anderen 50 Prozent wirken die Medikamente sehr unterschiedlich: Manchmal steigern sie den Antrieb, manchmal machen sie schläfrig, manchmal wirken die Medikamente euphorisierend, manchmal entsteht das Gefühl einer Betäubung. Es wäre für Psychiater hilfreich, wenn sie die unterschiedlichen Stimmungen einem bestimmten Medikament zuordnen könnten, aber das ist Wunschdenken. Ein und dasselbe Medikament kann den einen Patienten euphorisieren, den anderen betäubt es jedoch. Es gibt keinen biochemischen oder sonstigen Test, der die Reaktion des Patienten vorhersagen kann.

Diese fehlende, bzw. unvorhersehbare Wirkung ist das größte Probleme bei der Erstellung von Studien für antidepressive Medikamente.

Bei klinischen Studien werden negative Studien grundsätlich nicht veröffentlicht, wenn der Auftraggeber ein Pharmaunternehmen ist. Da dies bei Antidepressiva häufig der Fall ist, wenden die Auftraggeber mehrere Tricks zur „Ergebnisoptimierung“ an:

  • Man untersucht nur die Teilnehmer, die das Medikament vertragen und nur diese Personen werden in Placebo und Interventionsgruppe randomisiert.
  • In der vor dem Versuch stattfindenden Auswaschphase (vorherige Medikamente werden nicht weiter eingenommen) werden alle Patienten, denen es bereits durch die Teilnahme an der Studie besser geht, von der Teilnehmerliste gestrichen.

Diese Methoden werden gerne kombiniert und wer die Studie liest glaubt:

  • Das Medikament zeigt eine zuverlässige Wirkung
  • Das Medikament hat kaum Nebenwirkungen.

Wirklich beschämend ist jedoch, dass die Datensammlung zu den unerwünschten Nebenwirkungen nach Ablauf der kurzen klinischen Dauer von 6 bis 8 Wochen endet (natürlich ist die Depression dann noch lange nicht beendet) – obwohl bekannt ist, dass nach dem Absetzen von Antidepressiva das Suizidrisiko mehrere Tage oder sogar Wochen lang deutlich erhöht ist.

David Healy entdeckte beispielsweise bei der Auswertung von Sertralin-Daten, dass sich drei von fünf Suizidversuchen in der Placebogruppe während der Auswaschphase ereigneten und nicht während der Placeboeinnahme.

Doch selbst diese Tricks beim Studiendesign reichen den Unternehmen nicht aus und zeigen häufig eine so geringe Effektstärke, dass sie nicht besser sind als Placebos (zum Beispiel Reboxetin). Deshalb führen viele Unternehmen Datenmanipulationen durch.

Als Glaxo der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA Daten ihrer intern durchgeführten Studien vorlegen musste, fanden sich – bevor die Patienten in Placebo und Medikamentengruppe verteilt wurden – nur in der späteren Placebogruppe Suizidversuche. In der späteren Medikamentengruppe sollen hingegen gar keine aufgetreten sein. Das ist entweder ein Wunder oder ein hundertprozentiger Betrug, schreibt Peter Gotzsche.

In den 90er Jahren verursachte das Vertuschen von Suiziden in den klinischen Studien bei deutschen Mitarbeitern der Firma Eli Lilly noch ernsthafte Gewissenskonflikte. „Ich glaube nicht, dass ich dem Bundesgesundheitsamt, einem Richter, einem Reporter oder auch meiner Familie erklären könnte, warum wir das tun, schon gar nicht, wenn es um heikle Probleme wie Suizid und Suizidgedanken geht.“ (Claude Bouchy, internes Eli Lilly Memo vom 13.11.1990 zitiert bei David Healy: Let them eat Prozac S. 165).

Depression-Heute: In den meisten Studien zeigt sich in der Placebogruppe eine Wirkung von 50 Prozent und in der Gruppe mit den antidepressiven Medikamenten eine Wirkung von 60 Prozent. Angesichts der zahlreichen Manipulationen im Vorfeld, dem Verschweigen von schweren Nebenwirkungen und dem Beobachtungsende nach sechs bis acht Wochen … sind 10 Prozent Unterschied keine beeindruckende Differenz.

 

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