In Deutschland fehlt die Fachdiskussion über Antidepressiva
Neuere Studien bestärken Zweifel an der Wirksamkeit von Antidepressiva und zeigen, das sich sogar stärkste Depressionen mit Psychotherapie genauso effizient bekämpfen lassen. Obwohl der Vorsitzende der Deutschen Depressionshilfe an der Arbeit beteiligt war, verschweigt er depressiven Patienten die neuen, bahnbrechenden Erkenntnisse.
Antidepressiva helfen 40 Prozent der depressiven Patienten, Placebos helfen 30 Prozent der Patienten. Das berichtet eine Arbeit in World Psychiatry.
Eine weitere Arbeit im amerikanischen Ärzteblatt berichtet, dass auch sehr schwere Depressionen in der Akutphase mit Psychotherapie genauso effizient bekämpft werden können, wie mit antidepressiven Medikamenten.
Quelle: Vergleich
JAMA (2015)
Als die Zeitschrift „Journal of World Psychiatry“ im vergangenen Jahr die Arbeit der Forscher Arif Khan und Walter Brown veröffentlichte war die Entrüstung vieler Psychiater groß.
Die beiden Forscher hatten sämtliche Antidepressiva Daten, die für die Zulassung bei der amerikanischen Kontrollbehörde in den Jahren 1985 bis 1997 eingereicht wurden, erneut durchgerechnet (Quelle). Demzufolge hatten die Medikamente nur bei 40 Prozent der Patienten eine Symptomverbesserung bewirkt, wohingegen die Placebos bei 30 Prozent der Patienten dieselbe Wirkung entfaltetet hatten. „Es ist offensichtlich, dass die konventionelle Sichtweise von Antidepressiva und ihrer 70 prozentigen Wirksamkeit im besten Falle eine Überschätzung darstellt“, schrieben die Autoren.
Die britische Forscherin Joanna Moncrieff fügte in einem Kommentar hinzu: „Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass diese Medikamente eine spezifische Wirkung haben, die eine Klassifikation als „Antidepressiva“ rechtfertigt.“
Quelle
Khan und Brown führten zusätzlich weitere Antidepressiva-Studien zusammen, für die sie ausschließlich nicht industriegesponsorte Daten auswerteten. Dabei bemerkten sie eine weitere Erhöhung der Wirksamkeit in der Placebogruppe. Es zeigte sich: je strenger die Verblindung in den Untersuchungsgruppen eingehalten wurde, desto geringer unterschieden sich die Besserungen in den zu vergleichenden Patientengruppen. Wäre die erhöhte Wirksamkeit in den Placebogruppen auch in den Zulassungsstudien erzielt worden, hätten viele Medikamente keine Zulassung erhalten, da sie nicht signifikant besser abschnitten, als das Placebo.
In den USA und in England entfachte das Ergebnis eine rege Diskussion, die deutschsprachigen Fachgesellschaften entschlossen sich das Ergebnis zu ignorieren, obwohl das Magazin „World Psychiatry“ als drittwichtigste psychiatrische Fachzeitschrift der Welt gilt.
Stattdessen veröffentlichten die deutschen Psychiater im November 2015 ihre überarbeitete neue Leitlinie Unipolare Depression und verbreiteteten darin weiterhin das Märchen von der hohen Effizienz der antidepressiven Medikamente. Nahezu sämtliche Arbeiten, die Khan und Brown für ihre Untersuchung ausgeschlossen hatten, verwenden die Leitlinienautoren als Begründung für eine Therapieempfehlungen von Patienten.
Und natürlich ignorierte die im November veröffentlichte Leitlinie auch eine der wichtigsten neueren Arbeiten der Psychiatrie. Diese Arbeit wurde im amerikanischen Ärzteblatt veröffentlicht. 24 Psychiater waren an der Arbeit beteiligt (zur Studie). Sie verglichen das Therapieergebnis von schwer depressiven Patienten, die mit Antidepressiva behandelt wurden, mit schwer depressiven Patienten, die nur mit Psychotherapie behandelt wurden. Das Ergebnis, das auf einer Auswertung von 1700 Patientendaten basiert, fassen die Autoren folgendermaßen zusammen: Auch bei schweren Depressionen zeigt sich keine Überlegenheit einer antidepressiven Medikation. Beide Methoden erreichen gleichartige Therapieergebnisse.
„Die Ergebnisse zeigen das auch schwer depressive Patienten keinesfalls Medikamente benötigen, um eine Besserung von ihren schweren Depressionen zu erreichen.“ (Quelle).
Depression-Heute: In den USA und in Großbritannien entdecken immer mehr Psychiater die gute Wirksamkeit von alternative Behandlungsmethoden für depressive Patienten. In Deutschland findet diese Diskussion nicht statt. Das ist erstaunlich, da einer von deutschlands berühmtesten Psychiatern, der Leipziger Psychiater Ulrich Hegerl, zu den Autoren der großen US-Auswertung gehört. Normalerweise ist es für einen deutschen Forscher eine große Ehre, im amerikanischen Ärzteblatt publizieren zu dürfen. Doch der Vorsitzende der Deutschen Depressionshilfe verschweigt das wichtigste Ergebnis und erklärt stattdessen in einer Pressemitteilung, das Medikamente die beste Behandlungsmethode sind. Das ist ärgerlich, da in der Zusammenfassung der US-Arbeit ausdrücklich steht, das es keinen signifikanten Unterschied der beiden Methoden beim Erreichen einer Symptomverminderung (Response: odds ratio [OR], 1.24; P = .12) und auch nicht beim Rückgang der Depression gab (Remission: OR, 1.18; P = .22). Das sind die einzigen Werte, die für Patienten relevant sind.
Depressiven Patienten, die es ablehnen Medikamente einzunehmen, leistet er damit einen Bärendienst. Anstatt ihnen zu erklären, dass es auch andere, höchst wirksame Behandlungsmethoden gibt und ihnen diese Hilfe anzubieten, lässt er sie in dem Glauben, sie müssten antidepressive Medikamente einnehmen, sonst könnte die Psychiatrie nichts für sie tun. Damit wird eine wichtige Chance verpasst, diesen Menschen zu helfen.