Empfehlung: Zwei Jahre lang Antidepressiva – Und warum?

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Langzeitverschreibung ist für Patienten eine Tortur

Die medikamentöse Dauerbehandlung von depressiven Patienten basiert nicht auf Wissenschaft und auch nicht auf Erfahrung.

Langzeitverschreibung ist für Patienten eine TorturDie Leitlinie empfiehlt Patienten zwei Jahre lang antidepressive Tabletten einzunehmen.
Eine wissenschaftliche Basis für diese Dauerverschreibung existiert nicht. Den Patienten wird zugemutet, zwei Jahre lang Nebenwirkungen wie sexuelle Funktionsstörungen, emotionale Gleichgültigkeit und viele weitere Beschwerden zu ertragen, was häufig negative Auswirkungen auf ihr soziales Umfeld hat. Chefarzt Dr. Gernot Langs erklärt, die Patienten sollten sich mehr auf ihr Gespür verlassen.

Wie lange sollen Patienten mit Antidepressiva behandelt werden? Ein Patient, der zwei oder mehr depressive Phasen hatte, soll „sinnvollerweise mindestens zwei Jahre lang“ mit Antidepressiva behandelt werden. Das schreibt die Leitlinie unipolare Depression auf Seite 46 vor.

Heute prüfen wir: Basiert diese Empfehlung auf Wissenschaft?

Nein.
Es gibt keine unabhängige wissenschaftliche Arbeit, die antidepressiven Medikamenten einen therapeutischen Nutzen über einen längeren Zeitraum als 12 Monate zuspricht.

Die beiden wissenschaftlichen Arbeiten, die in der Leitlinie als Begründung für die zweijährige Einnahmedauer herhalten müssen sind: Geddes, J. 2003 und Frank, E. 1990.

Die Geddes Arbeit können wir gleich streichen, da sie nur einen Behandlungszeitraum von 12 Monaten untersucht hat.
Es bleibt also die Frank-Arbeit von 1990 übrig. Die Arbeit basiert auf einem dreijährigen Untersuchungszeitraum mit grenzwertig niedriger Finisher-Quote. Die Patienten wurden mit dem alten Trizyklikum Imipramin behandelt, das wegen seines ungünstigen Nebenwirkungsprofil heute nur noch sehr selten angewendet wird. Die Ergebnisse widersprechen zudem vorherigen Ergebnissen (Hippius et al. 1969). Das wird nicht diskutiert.

Dann zitiert die Leitlinie fünf Arbeiten, die von Pharmaherstellern bezahlt wurden und von Forschern durchgeführt wurden, die Beraterverträge mit genau diesen Firmen hatten, deren Antidepressiva sie in der entsprechenden Studie geprüft haben (Reimherrm, FW 1998; Keller, MB 2007; Kocsis, Thase 2007; Montgomery, SA 2004; Franchini, L 1998). Diese Arbeiten wurden für die Marketingabteilungen der Pharmahersteller angefertigt und sind einer Leitlinie unwürdig.

Wir fragen also noch einmal: Gibt es eine unabhängige klinische Beweislage die eine jahrelange Verschreibung von Citalopram, Prozac und den anderen SSRIs sinnvoll erscheinen lässt? Die Antwort ist: Solche wissenschaftlichen Studien gibt es nicht.

Das deckt sich mit den Daten aus den Fachinformationen der einzelnen Antidepressiva.

Eine Analyse sämtlicher Antidepressiva-Fachinformationen zeigt: Nur für die vier folgenden Medikamente konnte in den Zulassungsstudien ein Nutzen für eine 12 monatige Einnahme gezeigt werden:
Paroxetin, Sertralin, Vortioxetin, Bupropion

Effizient sind die Medikamente in diesen Studien nicht gewesen: Die Patienten waren so stark sortiert, dass nur diejenigen Patienten in den Studien verblieben, bei denen das jeweilige Medikament nach spätestens vier Wochen eine Wirkung zeigte und es verblieben auch nur diejenigen im zwölfmonatigen Untersuchungsabschnitt, die nicht stark unter den Nebenwirkungen litten. Amerikaner nennen diese Form der Patientensortierung „cherry-picking„. Der deutsche Begriff dafür lautet: unseriöse Forschung.

Eine seriöse öffentliche Gesundheitsforschung hätte dem Spuk der Langzeitverschreibung schon vor langer Zeit ein Ende setzen können. Dabei wäre auch das Abhängigkeitsrisiko bestätigt worden: Je länger Menschen Antidepressiva einnehmen, desto häufiger entsteht eine Abhängigkeit. Diese Abhängigkeit verhindert, dass die Menschen von den Tabletten wieder los kommen. Dieses Wissen ignoriert die Leitlinie.

Wenn Psychiater und Kliniken eigene Evaluationen durchführen würden und nicht nur bezahlte Studien der Pharmaindustrie zitieren würden, hätten sie schon lange dieselben Schlüsse gezogen, wie der Chefarzt Dr. Gernot Langs von der Schön Klinik Bad Bramstedt:

„Unsere Nachuntersuchungen haben gezeigt, dass es für einen Teil unserer Patienten für einen stabilen Behandlungserfolg nicht zwingend notwendig ist, dass sie nach der Stabilisierung im stationären Aufenthalt (= Zeitpunkt der Entlassung, dies zur Erklärung) die Medikamente sechs, neun oder zwölf Monate einnehmen. Unsere Patienten sind erwachsene Menschen, die merken schon, wenn sie die Medikamente nicht mehr brauchen: wichtig ist aber die Rücksprache mit ihrem Arzt. Zur Ergänzung: von großer Bedeutung für die Aufrechterhaltung des Therapieerfolges ist die Weiterführung oder Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie.“ sagt Chefarzt Dr. Gernot Langs im Interview mit Depression-Heute.

Depression-Heute: Warum ist es eigentlich so schwer, den Behandlungserfolg der eigenen Klinik zu messen und öffentlich darzustellen? Haben Patienten nicht die bestmögliche Therapieempfehlung verdient? Nach über 50 Jahren Antidepressiva-Medikation sind genug Daten vorhanden. Das die Leitlinie Unipolare Depression dieses Wissen ignoriert und stattdessen Patienten eine „sinnvolle“ Einnahme von mindestens zwei Jahren empfiehlt, ist eine Schande.

 

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