Die Charité untersuchte das Absetzen von Antidepressiva

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Unser Buch „Unglück auf Rezept“ hatte drei hoffnungsvolle Wirkungen:

  • Die Charité realisierte die Absetzstudie AiDA (Link)
  • Der Psychiater Dr. Wolf Müller veranstaltete mit seinem Team drei Tagungen in NRW zum Thema Antidepressiva (Link1)(Link2)(Link3)
  • Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie veranstaltete ein nichtöffentliches Symposium mit zahlreichen Professoren zum Thema „Antidepressiva“ in Frankfurt (Link)

Dieser Text befasst sich mit der Arbeit der Charité.

Hier die Chronologie:

Den Anstoß zur Absetzstudie gaben Überlegungen des Charité-Urgesteins Prof. Dr. med. Bruno Mueller-Oerlinghausen. Wir konnten ihn gewinnen, das Vorwort für Unglück auf Rezept zu schreiben (erschienen am 19.09.2016). Natürlich hatte er sich schon früher kritisch zu Antidepressiva geäußert.
Es gelang ihm führenden Köpfen der Charité zu erklären, dass die Psychiatrie in Deutschland Menschen nicht hilft, wenn sie in Schwierigkeiten geraten, weil sie ihre Antidepressiva absetzen.
Die Verantwortlichen bemerkten, dass sie über dieses Problem gar keine Daten besitzen.
Also wurde zunächst entschieden, wer dieses Phänomen untersuchen soll. Die Wahl fiel auf Prof. Dr. Dr. Henrik Walter.

  • Walter stellte eine Arbeitsgruppe zusammen und eine Kooperation mit der ETH Zürich.
  • es wurde Geld von der DFG eingeworben.
  • es wurde eine Homepage eingerichtet: www.absetzstudie.de (mittlerweile offline)
  • es wurde eine E-Mail-Adresse eingerichtet: aida@charite.de
  • es wurde ein Flyer erstellt: Der Antidepressiva-Absetzflyer der Charité (kann hier geladen werden)
  • es wurden Probanden eingeladen (Betroffene sollten 300 € erhalten, Personen der Kontrollgruppe 120 €)

Professor Henrik Walter wurde vom NDR Fernsehmagazin Visite eingeladen, über die Studie zu sprechen und erklärte dort als Ziele seiner Studie:

  • Er möchte herausfinden, wie man Patienten, die einen Rückfall erleiden, von denen unterscheiden kann, die keinen Rückfall erleiden.
  • Er plant für die Unterscheidung biologische Messverfahren einzusetzen.

Hier ist das Video mit dem Interview von Prof. Walter.

Der von der Charité hergestellte Flyer erklärte als „Ziele der Studie“:

  • Vorhersagefaktoren für das Auftreten eines Rückfalls nach dem Absetzen des Antidepressivums zu identifizieren.
  • Effizientere Therapiekonzepte zu ermitteln, um Rückfälle zu vermeiden.
  • Es soll nach neuro-physiologischen Veränderungen gesucht werden, die „mit dem Absetzen von Antidepressiva einhergehen“.
  • Die Gehirne von Patienten, die erfolgreich abgesetzt haben, sollen mit Gehirnen von Kontrollprobanden verglichen werden, um Unterschiede zu finden.

Auf der Homepage www.absetzstudie.de wurde angekündigt:

  • Die Forscher wollen herausfinden, wer beim Absetzen von Antidepressiva von Rückfällen bedroht ist und wer die Wirkstoffe möglicherweise ohne Probleme wieder loswird
  • Die Forscher wollen Personen identifizieren, die gefährdet sind, schwere Absetzsymptome zu erleiden
  • Die Forscher wollen Personen identifizieren, die eher einen Rückfall der Depression erleiden.

Dann ist fünf Jahre lang gar nichts passiert.

Trotz wiederholter Kontaktaufnahme erhielt Depression-Heute keine Antwort von Henrik Walter oder seinen Mitarbeitern. Weder telefonisch, noch per E-Mail.

Schließlich, am 18. Dezember 2022 erschien die Studie:
The relationship between resting-state functional connectivity, antidepressant discontinuation and depression relapse (Link)
Die Autoren kritisieren darin umfangreich ihre eigenen Vorgaben, nach denen sie die Studie durchgeführt haben (das sogenannte „Studiendesign“) und erklären:

„Nevertheless, as discussed above, it should be sufficient to detect moderate effects, which we did not find.”

“Dennoch sollte es [das Studiendesign] ausreichen, um (wie zuvor diskutiert) zumindest leichte Effekte zu entdecken, die wir jedoch nicht gefunden haben.“ (Übersetzung P. A.)

Im Klartext: Wir haben nichts herausgefunden.

Depression-Heute: Es ist nicht überraschend, dass die Charité-Forscher mit leeren Händen dastehen. Das ergibt sich bereits aus der Planung: Geplant war, die Gehirne von Absetzpatienten mit Kontrollgehirnen zu vergleichen. Jedoch hätte man schon vorher wissen können, es gibt keine MRT-Parameter, mit denen sich zum Beispiel „Angst“ von „Absetzerscheinungen von Psychopharmaka“ unterscheiden lassen. Denn es gibt gar kein Wissen darüber, wie man „Absetzerscheinungen“ in einem Gehirnscan identifizieren kann.
Über die noch höher gelegten Ziele muss weiter nichts gesagt werden, denn wie will man Betroffenen helfen, wenn man nicht weiß, was man untersucht?
Dennoch ist es ärgerlich, dass die Forscher noch nicht einmal die zugrundeliegenden Basics veröffentlicht haben:

  • Was für Patienten nahmen an der Studie teil (männlich, weiblich, Alter, Gewicht, Familienstand, Beruf, Einkommen, etc.)?
  • Welche Medikamente haben sie eingenommen? Also, gab es eine Häufung bestimmter Medikamente?
  • Wie lange hatten sie die Medikamente eingenommen?
  • Wie viele verfügen über negative Absetzerfahrungen?
  • Was waren die häufigsten Absetzsymptome und wann traten sie erstmals/letztmals auf?
  • Wie vielen Patienten ist das Absetzen im vorgegebenen Intervall von 6-9 Monaten gelungen?

Mit diesen Informationen hätte das Team um Prof. Henrik Walter zumindest einen ersten, beschreibenden Beitrag für Absetzpatienten leisten können. Schließlich gab es Kontakte: Es wurden Patienten ausgewählt, eingeladen und untersucht. Doch nichts, was hilfreich sein könnte, ist veröffentlicht worden. Ob es insgesamt nur um Spesen ging (gemäß der alten Redewendung: „Außer Spesen nichts gewesen“), ist eine ganz andere Frage.
Es zeigt sich: Menschen, die von schweren Symptomen nach dem Absetzen von Antidepressiva betroffen sind, sind der psychiatrischen Wissenschaft egal. Man bemüht sich noch nicht mal um einen Diskurs, sondern lässt das Thema eiskalt fallen, ignoriert diese Patienten. Das ist sehr traurig für alle Betroffenen.

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