Deshalb werden depressive Patienten so schlecht behandelt

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Seit den 1990er Jahren werden immer mehr Antidepressiva verschrieben. Gleichzeitig stieg für Patienten die Wahrscheinlichkeit einen „Rückfall“ zu erleiden, sowie die Anzahl der Krankheitstage wegen Depressionen und die Anzahl der Früberentungen wegen psychischer Erkrankungen. Die Kosten für die Behandlungen betragen mittlerweile Milliarden, das Leid der Patienten lässt sich in Zahlen nicht fassen.

Die Ursache für die Verschlechterung des Behandlungsergebnisses von depressiven Patienten ist die S3 Behandlungsleitlinie Unipolare Depressionen (Link). Ärzte und Therapeuten orientieren sich an dieser Empfehlung, die eine psychiatrische Fachgesellschaft erarbeitet hat.

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Das „Wissen“ über Depressionen ist sehr begrenzt. Am meisten hilft es Patienten, wenn man mit ihnen auf Augenhöhe an einer persönlichen Lösung arbeitet. Doch viele professionelle Helfer verstecken sich hinter „Fachwissen“. Dieses Fachwissen ist jedoch weder evidenzbasiert noch hilfreich.

Die S3-Leitlinie Unipolare Depression offenbart gewaltige Mängel. Die schlimmsten Fehler:

  1. Es ist nicht festgeschrieben, wie lange eine Sitzung mindestens dauern muss, bevor die Diagnose depressive Störung (Depression) ausgesprochen werden darf. Dadurch verhält sich ein Arzt, der nach fünf Minuten Gespräch ein Antidepressivum verschreibt, korrekt. Es wird ignoriert, dass eine einmal vergebene psychiatrische Diagnose das gesamte weitere Leben des Patienten verändern kann. Die Diagnose Depression wird viel zu häufig und viel zu leichtfertig ausgesprochen.
  2. Es findet sich kein Hinweis, dass Depressionen selbstlimitierend sind, also von alleine aufhören, auch wenn keine medikamentöse Therapie erfolgt. Es fehlt der Hinweis, dass vor 50 Jahren die Therapie des Abwartens bei 30 Prozent der Patienten die alleinige Therapieform in den Psychiatrien war und dabei stets gute Besserungen erzielt wurden – obwohl damals nahezu ausschließlich Patienten mit schweren Depressionen in den Kliniken behandelt wurden (für den therapeutischen Erfolg war zum größten Teil die Wirkung der Klinik verantwortlich, also das Lösen des Patienten aus seiner leidbehafteten häuslichen Umgebung).
  3. Eine Therapie mit antidepressiven Medikamenten, bei der keine Gespräche mit einem Arzt oder Therapeuten erfolgen, wird in der Leitlinie als therapeutisch wertvoll beurteilt. Der behandelnde Arzt glaubt dadurch: Tabletten können die Ursachen von Depressionen auflösen (obwohl die Biochemie der Depression unbekannt ist). Der Arzt muss dieser Logik zufolge gar nicht versuchen, dem Menschen in seiner Lebenssituation zu helfen – was therapeutisch fragwürdig ist („Nehmen Sie die Tabletten und gehen Sie“).
  4. Es wird erklärt, eine Langzeiteinnahme von Antidepressiva könne bis zu 70 Prozent der Patienten vor zukünftigen depressiven Episoden schützen (S. 80). Dafür fehlt eine zuverlässige wissenschaftliche Beweislage (andere Studien kamen zu gegenteiligen Ergebnissen). Zusätzlich wird bestimmten Menschen empfohlen, Antidepressiva länger als ein Jahr einzunehmen. So weit gehen noch nicht mal die Pharmahersteller. Für kein Antidepressivum ist ein Nutzen belegt, der über ein Jahr hinausgeht (siehe Beipackzettel).
  5. In der wissenschaftlichen Auswertung der Behandlungsleitlinie fehlen Langzeitvergleiche von alternativen Therapiemethoden. Insbesondere fehlen Vergleiche von Menschen die Antidepressiva eingenommen haben mit Menschen, die dauerhaft keine Medikamente eingenommen haben. Diese Daten zeigen, dass nach zwei und fünf Jahren die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls bei Patienten sinkt, die sich gegen eine Dauermedikation entschieden haben. Trotz Hinweis von Depression-Heute an die Herausgeber der Leitlinie wurden die entsprechenden Studien nicht in die Literaturauswertung aufgenommen (Link).
  6. Die Wirksamkeit der antidepressiven Medikamente wird mit 70 Prozent angegeben (S. 66). Dies steht in einem Gegensatz zu Ergebnissen von staatlich kontrollierten Versuchen, bei denen nur 25 Prozent der Patienten eine Symptomfreiheit erreichten. Durch die hohe Erwartungswahrscheinlichkeit fühlt sich ein Patient, bei dem das Medikament nicht wirkt wie ein „Therapieversager“. Würde man die korrekte Zahl von 25 Prozent nennen, hätte der Patient kein schlechtes Gefühl, wenn die Mittel bei ihm nicht wirken.
  7. Es fehlt ein Warnhinweis vor der „falschen“ Anwendung der Medikamente zur Schlafförderung. Insbesondere Mirtazapin wird häufig monate- oder jahrelang als „Schlafmittel“ verschrieben. Antidepressiva sind keine Schlafmittel, wer Medikamente für diesen Zweck einsetzt, handelt gegen ärztliche Empfehlungen.
  8. Es fehlt eine Warnhinweis vor dem Risiko der Persönlichkeitsveränderung bei Patienten, die die Medikamente dauerhaft einnehmen. Therapeuten kritisieren, dass eine erfolgreiche Psychotherapie nicht gelingen kann, wenn Patienten durch die Medikamente emotional abgestumpft sind.
  9. Es fehlen Warnhinweise vor dem Abhängigkeitsrisiko, insbesondere nach dauerhafter Einnahme. Dieses beträgt nach sechsmonatiger Einnahme etwa 30 Prozent und nach einem Jahr steigt das Risiko auf 60 bis 80 Prozent. Für viele Patienten ist es ein Schock, wenn Sie bemerken, dass sie die Medikamente nicht einfach absetzen können, sondern einen Entzug durchmachen müssen.
  10. Antidepressiva haben nur in der Therapie von sehr schweren Depressionen einen klinisch bestätigten Nutzen. Alle anderen depressiven Patienten haben von den Medikamenten keinen Nutzen, sollen jedoch die Nebenwirkungen, wie die sexuellen Störungen aushalten, die bei etwa 80 Prozent der Patienten auftreten. Weitere häufige Störungen sind Unruhezustände und Herzbeschwerden. Die britische Leitlinie hat diese leidhafte Wissen der antidepressiven Medikamente herausgearbeitet und als Konsequenz in den vergangenen Jahren verstärkt Psychotherapeuten ausgebildet, die bei den leichten und mittleren Depressionsformen helfen sollen (Link). Die deutsche Leitlinie unterschlägt dieses Wissen. Stattdessen fasst sie Patienten mit mittelschwere Depressionen mit Patienten, die unter schweren Depressionen leiden zusammen und erklärt, in beiden Fällen würden antidepressive Medikamente eine gute Wirkung zeigen.
  11. Obwohl die allermeisten antidepressiven Medikamente am Serotonin und den Serotonin-Transportermolekülen ansetzen, fehlen Hinweise auf die vielen wissenschafltichen Widerlegungen der Serotonin-Theorie der Depression. Es fehlt eine Diskussion über die Messungen von Gehirnflüssigkeiten von depressiven Patienten und dem Nichtauffinden eine Serotonin-Mangels.
  12. Es fehlt eine Warnung vor Depressionstests, die aus Menschen mit Sorgen Antidepressiva-Konsumenten machen. Ein Mensch mit schweren Depressionen macht keinen Depressionstest. Aber nur bei diesen Patienten kann es sinnvoll sein die Medikamente auszuprobieren.
  13. In fachlicher Hinsicht ist es den Autoren der Leitlinie – trotz Hinweis von Depression-Heute – nicht gelungen, eine Remission von einer Response zu unterscheiden (Link).
  14. Die Ergebnisse der STAR*D Studie sind falsch dargestellt. Das ist nicht trivial, denn die STAR*D Studie ist die wichtigste Studie, in der Wissenschaftler die Effizienz von antidepressiven Medikamenten überprüft haben. Die Studie wurde initiiert, weil vielen Psychiatern auffiel, dass die von den Pharmamitarbeitern erklärte Wirkung von 70 Prozent bei ihren depressiven Patienten nicht annähernd eintrat. Die Studie wurde vom staatlichen US-Institut für mentale Gesundheit mit 30 Millionen Dollar finanziert. Im Verlauf des 12-monatigen Untersuchungszeitraums wurden mehr als 10 unterschiedliche antidepressive Medikamente auf ihre Effizienz überprüft. Zu den wichtigsten Ergebnissen zählte, dass von ursprünglich 4071 depressiven Patienten nur 108 Patienten mit den Medikamenten über einen Zeitraum von 12 Monaten geholfen werden konnte – das sind 3 Prozent (Link).

Depression-Heute: Die Leitlinie für die Behandlung von Depressionen basiert auf einer Überschätzung der Wirksamkeit von antidepressiven Medikamenten, sowie einer Unterschätzung der Neben- und Wechselwirkungen der Medikamente. Der Patient hat das Nachsehen.

 

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2 Comments

  1. Mir fehlt eine eindeutige Warnung, das Anti-Depressiva der SSRI Gruppe durch ihre Antriebssteigerung Suizide auslösen können.
    Ich habe selber letztes Jahr mehrfach unter Medikamenteneinfluss mir das Leben zu nehmen.
    Ich war zu diesem Zeitpunkt in einem Krankenhaus. Statt den Beipackzettel zu beachten wurde mir eine Borderline Diagnose verpasst. Ich hatte zuvor bereits Suizidgedanken, habe mich aber nie selber verletzt.
    Mir wurde regelrecht zugeschaut wie weit ich gehe. Beruhigungsmittel wurden verweigert.
    Nach dem 3. Versuch landete ich auf einer geschützten Station.
    Ich wurde wie der letzte Dreck behandelt. Hinter meinem Rücken solle das Medikament nochmals hoch dosiert werden.
    Keiner wollte einen Zusammenhang sehen.

  2. Ich habe diese Medikamente auch vergeblich genommen. Ich litt unter Erschöpfung, die körperlich bedingt ist, aber das wird mir von den Ärzten nicht geglaubt.
    Bei mir haben sie suizidales Verhalten ausgelöst, obwohl ich zuvor nie Suizidgedanken hatte.
    Außerdem wurde ich darunter fremdaggressiv.

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