Der Buchtipp in der aktuellen Gute Pillen – Schlechte Pillen

GPSP 06 2016

„Unglück auf Rezept“ ist der Buchtipp in der aktuellen Gute Pillen – Schlechte Pillen. Die Redaktion von GPSP setzt sich aus Ärzten, Apothekern und Gesundheitswissenschaftleren zusammen, darunter viele Professoren. Zitat: „Unglück auf Rezept“ liest sich spannend wie ein Krimi und steckt voller Fakten.

GPSP 06 2016

Für Gute Pillen – Schlechte Pillen ist „Unglück auf Rezept“ DER Buchtipp. „Wer sich für die Geschichte der Psychopharmaka interessiert oder Beratung für sich oder seine Angehörigen mit Depressionen sucht, wird das Buch mit Gewinn lesen. Es wird helfen, im ärztlichen Gespräch wichtige und zielführende Fragen zu stellen.“

 

Gute Pillen – Schlechte Pillen Ausgabe 06/2016 S. 16:
Buchtipp
Unglück auf Rezept
Als in einer Reportage1 des Fernsehsenders ARD im Jahr 2013 Arzneimittel gegen Depression als „gefährliche Glückspillen“ bezeichnet wurden, verursachte das einen Aufschrei in psychiatrischen Fachkreisen. Die zuständige Fachgesellschaft DGPPN2 verfasste sogar eine Pressemeldung, in der sie behauptete, dass Antidepressiva das Suizidrisiko vermindern. Peter und Sabine Ansari treiben in ihrem aktuellen Buch „Unglück auf Rezept“ die Kritik an den viel verordneten Medikamenten noch weiter: Für sie sind Antidepressiva Unglückspillen. Das mag man gut finden, belächeln oder als gefährliche Panikmache ablehnen. Die Lektüre lohnt sich in jedem Fall.
Als Arzt und Heilpraktikerin haben die beiden Autoren das Leid vieler depressiver Menschen persönlich kennengelernt. Und Zorn im Bauch. Zorn über eine pharmazeutische Industrie, die nicht nur Ärzte, sondern auch Gesundheitsbehörden und die Medien in einer beispiellos raffinierten Aktion jahrelang mit Fehlinformationen gefüttert hat.
Und das hat sich für sie trotz millionenschwerer Strafen, die einige Pharmafirmen wegen falscher Werbeaussagen vor allem in den USA zahlen mussten, gelohnt. Die von Jahr zu Jahr steigenden Verordnungen und Umsätze zeigen es.3

„Unglück auf Rezept“ liest sich spannend wie ein Krimi und steckt voller Fakten. Die Ansaris beschreiben, wie sich der Hype um die Antidepressiva seit den 1990er Jahren entwickeln konnte. Sie kritisieren den Begriff Antidepressiva als irreführend, denn diese Mittel sind nicht gezielt und spezifisch wirksam – wie etwa ein Antibiotikum gegen die Erreger einer Infektion. Und die Autoren belegen: Die Hersteller glaubten selbst nicht an einen spezifisch antidepressiven Effekt.
Das erste Antidepressivum (Imipramin, Tofranil®) hat dementsprechend die Therapieergebnisse depressiver Patienten in Kliniken auch nicht wesentlich verbessert.
In den 1960er und 1970er Jahren wurden hauptsächlich Beruhigungsmittel (Tranquilizer) vom Typ der Benzodiazepine wie Librium ® und Valium® als Mittel gegen Depressionen beworben und verordnet.
Als dann der Wirkstoff Fluoxetin (USA: Prozac®, Deutschland: Fluctin®) in den 1980er Jahren in den USA auf dem Markt kam, bahnte das den Weg der neuen SSRI-„Antidepressiva“ in Arztpraxen, Krankenhäuser und Forschungslabors (SSRI = Selektive Serotonin-Wiederaufnahme- Hemmer). Und dieser Weg war gepflastert mit falschen Versprechungen und Erwartungen, mit Betrug, Bestechung und weiteren Tricksereien, um die von den Behörden mehrfach verweigerte Zulassung zu erzwingen. Gleichzeitig wurde die „Serotonin-Hypothese“ der Depression, die bis heute nicht bewiesen ist, in viele ärztliche Gehirne infiltriert: SSRI sollen angeblich fehlendes Serotonin ausgleichen können.

All das verschleiert zwei Tatsachen: die enttäuschend geringe Wirksamkeit der neuen Stoffgruppe im Vergleich zu Placebo und ihre zahlreichen unerwünschten Wirkungen, darunter auch das erhöhte Risiko der Selbsttötung (GPSP 3/2013, S. 10).
Die Ansaris beschreiben in ihrem Buch zutreffend auch die Probleme beim Versuch, SSRI-Antidepressiva wieder abzusetzen, wenn man sich erst einmal an sie gewöhnt hat. Und sie dokumentieren, welches Leid durch die – häufig unnötige – Verordnung entstehen kann, anhand von bewegenden Patientengeschichten.

Das für Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte so wie Pflegepersonen oder Angehörige lesenswerte Buch bleibt nicht bei der Kritik stehen. In einem Schlusskapitel stellt es alternative Behandlungsmöglichkeiten vor, deren Wirksamkeit teilweise gut belegt ist. Dazu zählen Psychotherapie, Biofeedback, Bewegung, psychoaktive Massagen oder Achtsamkeitstraining. Was allerdings die Therapie mit Bach-Blüten, Lavendel, Melisse oder Omega-3-Fettsäuren angeht, ist GPSP anderer Meinung.

Wer sich für die Geschichte der Psychopharmaka interessiert oder Beratung für sich oder seine Angehörigen mit Depressionen sucht, wird das Buch mit Gewinn lesen. Es wird helfen, im ärztlichen Gespräch wichtige und zielführende Fragen zu stellen. Die gelegentlich etwas zu weit greifende Kritik tut der Richtigkeit der generellen Linie keinen Abbruch.

1 ARD (2013) Gefährliche Glückspillen. www.youtube.com/ watch?v=4Uk4f_hMvT4
2 DGPPN = Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
3 Müller-Oerlinghausen B, Lohse M (2016) Psychopharmaka. In: Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.) Arzneiverordnungs-Report 2016. Springer Verlag: Heidelberg/Berlin

GPSP
06/2016

 

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