Depressionstherapie in Großbritannien: Lieber keine Antidepressiva

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Ein depressiver englischer Patient unterscheidet sich nicht von einem depressiven deutschen Patienten. Die Diagnose der beiden basiert auf denselben Handbüchern. Ein typischer britischer Patient soll jedoch in 90 Prozent der Fälle nicht mit Antidepressiva behandelt werden.

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In Großbritannien erstellt das staatliche Institut NICE die Behandlungsleitlinien für depressive Patienten. Der Psychiater Tim Kendall ist Direktor des National Collaborating Center for Mental Health und seit vielen Jahren einer der wichtigsten Berater für die Behandlung psychischer Störungen.

Das vollständige Interview mit Psychiater Tim Kendall finden Sie in Psychologie Heute 10/2016
Interview Tim Kendall
Psychologie Heute (10/2016)

In Großbritannien sind antidepressive Medikamente nicht die erste Wahl für die Behandlung der meisten depressiven Patienten.

Bereits seit 2007 setzt das staatliche Gesundheitsministerium verstärkt auf alternative Therapien. Im Gespräch mit der Zeitschrift Psychologie Heute (Ausgabe 10-2016) erklärt der Psychiater Tim Kendall, die Gründe:

1. Warum wurde die vorherige Lehrmeinung verändert?
Eine sorgfältige Analyse zeigte, dass die Auslöser von Depressionen nicht in gestörten Hirnchemikalien zu finden sind, sondern in den Lebensumständen der Menschen, also ihrem sozialem Umfeld. Sorgfältige klinische Auswertungen zeigten zudem, dass leichte und mittelschwere Depressionen nicht von einer Antidepressiva-Verschreibung profitieren. Stattdessen litten die Patienten unter den Nebenwirkungen der Medikamente. Vielen gelang es dennoch nicht, die Medikamente abzusetzen.

2. Was folgte darauf?
Großbritannien investierte ab 2007 vier bis fünfhundert Millionen Pfund pro Jahr und bildete damit 6000 Therapeuten aus. Viele nennen sich „psychologischer Gesundheitstherapeut“ und sollen die Erstversorgung von depressiven Patienten übernehmen. Sie helfen mit computergestützter Verhaltenstherapie, angeleiteter Selbsthilfe und Bewegungsprogrammen gegen Depressionen vorzugehen. Neben den psychologischen Gesundheitstherapeuten wurden auch zahlreiche kognitive Verhaltenstherapeuten ausgebildet, die auch bei schweren Verläufen helfen können.

Tim Kendall geht mit seinen psychiatrische Kollegen hart ins Gericht. Als er mit dieser Aussage konfrontiert wird: „Wenn über die mangelhafte Wirkung von Antidepressiva berichtet wird, gibt es mehr Suizide“, antwortet er:

„Ich glaube, es ist unvertretbar, die ganze Bevölkerung zu belügen. Dass die Menschen sich alle umbringen, wenn sie hören, dass diese Medikamente keine pharmakologische Wirkung haben, dafür gibt es überhaupt keinen Beleg. Wir sollten ein ganzes Spektrum an therapeutischen Maßnahmen anbieten. Es gibt vieles, was man für Depressive tun kann. Man muss sich nicht auf eine einzige Lösung festlegen.“

In England empfehlen die staatlichen Leitlinien depressiven Patienten, die an leichten bis mittelschweren Depressionen leiden keine Antidepressiva einzunehmen. Eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva sollen demnach nur Patienten erhalten, die an schweren Depressionen leiden.

Schwere Depressionen sind bei Patienten die sich von einem niedergelassenen Psychiater behandeln lassen eher selten. Gemäß einer aktuellen Berechnung leiden 90 Prozent der Patienten, die einen niedergelassenen Psychiater aufsuchen unter leichten bis mittelschweren Depressionen. (Quelle). In den psychiatrischen Krankenhäusern finden sich hingegen deutlich häufiger Patienten mit schweren Depressionen.

Tim Kendall ist nicht der einzige Arzt, der seine Kollegen öffentlich als Lügner bloßstellt. Der dänische Arzt Peter Gøtzsche schreibt in seinem Buch Tödliche Psychopharmaka über Psychiater: „Ich kenne keine anderen Fachärzte, die ihre Patienten belügen.“ (S. 12). (Quelle)

Der deutsche Psychiater Tom Bschor bestätigte in einem Interview mit dem IGP Magazin, dass eine Depressionen nicht auf einem Serotoninmangel beruht und bezeichnet die zugrundeliegende Theorie als Märchen. (Quelle).

Depression-Heute: Immer mehr Psychiater pfeifen es von den Dächern. Eine Behandlung mit Antidepressiva ist für kaum einen Patienten nützlich.

 

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