von Hirschhausen enttäuscht über Depressionen

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Hirschhausen Wunderbuch

Wenn Deutschlands berühmtester Arzt ein Buch schreibt, dass die Bestsellerlisten anführt, weiß man: Bald denkt die informierte Mehrheit genauso. In vielen Bereichen stimmt man ihm zu, aber seine Aussagen über Depressionen sind nicht haltbar.

Hirschhausen Wunderbuch

Hirschhausens Wissen über Depressionen und antidepressive Therapien ist enttäuschend, da hätte er besser die Maus nach Rat gefragt.

Hirschhausen ist ein Phänomen. Kaum ein anderer Arzt wirkt in den Medien kompetenter, humorvoller und mitfühlender. Fast alle seiner Ratschläge kann man sich zu Herzen nehmen. Doch manchmal bewertet er die „evidenzbasierte“ Medizin zu hoch – bei Depressionen ist das leider der Fall.

Das fängt mit einer Verkennung der Tatsachen an. Von Hirschhausen schreibt:

Gibt es Medikamente, die zu wenig gegeben werden? Ja, vor allem in der Behandlung von Schmerzen, von Bluthochdruck und von Depressionen gibt es echte Unterversorgung.“ S. 281

Diese Aussage entspricht nicht der Realität. Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 1445 Millionen Tagesdosen Antidepressiva verordnet, das sind mehr als sieben Mal so viele Antidepressiva, wie vor 25 Jahren. Obwohl bekannt ist, dass etwa 90 Prozent der ambulanten Patienten nicht von dieser Therapie profitieren (Quelle).

Über die Ursache einer Depression schreibt er:

„Noch ergibt sich aus der Forschung keine Behandlung, aber spannend bleibt es. Vor allem, weil man für das Entstehen der Depression bis auf Verschiebungen in der Hirnchemie der Botenstoffe auch keine so richtig befriedigende Erklärung hat. Man kann mit Medikamenten versuchen, die Botenstoffe wieder ins Lot zu bringen.“ S. 366

Schade. Hirschhausen ist grundsätzlich sehr gut informiert, aber er weiß anscheinend nicht, dass man in den 80ern und 90er Jahren auf der ganzen Welt die Botenstoffe bei depressiven Patienten gemessen hat und diese gar nicht – außerhalb des „Lots“ waren. (Quelle). Und bezüglich einer evidenzbasierten Therapie kann es auch nicht sinnvoll sein, Medikamente zu geben, die etwas ins „Gleichgewicht“ bringen – obwohl weder vorher gemessen wurde, ob die Botenstoffe außerhalb des „Gleichgewichts“ waren und auch nachher nicht, ob die Botenstoffe durch die Medikamente wieder ins „Gleichgewicht“ gebracht wurde oder ob es überhaupt so etwas wie ein „Gleichgewicht der Botenstoffe“ gibt.

Aus diesen unfundierten Vermutungen ergeben sich dann Aussagen wie:

„Zur Stimmungsaufhellung sind auch Johanniskrautpräparate beliebt, die allerdings bei einer schweren Depression nicht ausreichen.“ S. 224

Nicht ausreichen … um was? Etwa … um eine Gesundung zu erreichen? Das ist eine angebrachte Frage, da die neueste Forschung im amerikanischen Ärzteblatt Jama gezeigt hat, dass auch schwerste Depressionen effizient „nur“ mit Psychotherapie behandelt werden können – also ganz ohne Medikamentenzugabe (Quelle).

Depression-Heute ist skeptisch bezüglich Projekten wie „irrsinnig menschlich“ oder „Verrückt? Na und!“, bei denen Organisationsmitglieder in Schulen gehen und über ihre Erfahrungen berichten. Von Hirschhausen schreibt, dass diese Organisationen eine rein aufklärerische Funktion hätten, das erscheint uns naiv. Depression-Heute sieht darin Nachahmer-Organisationen des US-Vorbilds TeenScreen. TeenScreen musste aufgrund öffentlichen Drucks im Jahr 2008 geschlossen werden, weil sich herausstellte, dass im Hintergrund Pharmafirmen die Strippen zogen, deren Ziel es war die Akzeptanz und Verbreitung von Antidepressiva in Schulen zu fördern (Quelle). Obwohl noch keine zuverlässige Studie zeigen konnte, dass Jugendliche depressive von Antidepressiva profitieren. Wohingegen zuverlässig gezeigt wurde, dass Antidepressiva bei Jugendlichen die Suizidalität verdoppelt (Quelle).

Genauso schwer ist es zu verstehen, weshalb von Hirschhausen den Experten Ulrich Hegerl derartig unkritisch darstellt, obwohl Hegerls vielfältige Verbindungen zur Pharmaindustrie bereits Gegenstand kritischer ARD-Berichterstattung war (Quelle).

Zustimmen können wir hingegen seinem Statement:

„Depression ist eine bekannte und häufige Erkrankung. Sie ist keine Charakterschwäche. Sie geht auch nicht rasch vorbei, indem man wartet und sich abschottet. Hol dir professionelle Hilfe, dann ist sie gut behandelbar. Es ist so, wie du es vielleicht schon mal beim Fliegen an einem trüben Tag erlebt hast: Sobald du durch die Wolken bist, ist die Sonne wieder da, auch wenn du sie vorher nicht sehen und spüren konntest.“ S. 367

Aber leider gilt hier ganz besondere Aufmerksamkeit, da man sich bei der Therapie von Depressionen nicht auf jede professionelle Hilfe verlassen kann. Viele Ärzte sagen: Die Tabletten sind gut wirksam, verändern die Persönlichkeit nicht und machen nicht abhängig. Und genau das stimmt nicht.

Für die Behandlung mit Depressionen müssen die Leser einen Schritt zurücktreten.

Sie müssen ihrem Arzt die berühmten fünf Fragen stellen:

  • Wo ist der Nutzen?
  • Was ist der Schaden, wo ist das Risiko?
  • Wo ist der Beleg dafür?
  • Was passiert, wenn wir abwarten und beobachten?
  • Würden sie das, was sie mir gerade empfehlen, selber auch machen? Also auch an sich, ihrer Mutter, ihrem Partner?

Und damit schließt sich der Kreis – Hirschhausen ist sonst besser, als wie man denkt, denn diese fünf Fragen stammen:
Natürlich auch von Hirschhausen

Zum Buch
von Hirschhausen

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3 Comments

  1. Es ist immer wieder schockierend, welche Meinungen über Depressionen in den Mainstream Medien vertreten werden. Eigentlich mochte ich den Eckart von Hirschhausen immer, aber über Themen, von denen man offensichtlich nicht die geringste Ahnung hat, sollte man sich vielleicht besser nicht öffentlich äußern.

  2. Leider haben auch Sie einen kleinen Fehler gemacht: Eckhardt von Hirschhausen ist kein Arzt, sondern ein Comedian.
    Er hat Medizin studiert, promoviert und ein Jahr als Arzt gearbeitet, bevor er sich seiner Leidenschaft, der Unterhaltung, zugewandt hat.

    Dies sollten Sie in Ihrem Artikel unbedingt korrigieren – denn so kann auch sein Buch vollkommen anderes gelesen werden.

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