Ist eine Depression eine Reaktion auf eine Entzündung?

Depression Entzündung

Zu den „neueren“ Theorien über die Ursache einer Depression gehört die Hypothese: eine Depression ist eine Entzündung, bzw. eine Reaktion des Immunsystems auf ein entzündliches Geschehen im Körper.
Depression-Heute ist auf Spurensuche gegangen.
Woher kommt diese Theorie und was ist davon zu halten?

Obwohl viele Forscher Stein auf Bein schwören: Alles, was im Blut passiert, kann nichts mit einer Depression zu tun haben (denn für die Entstehung einer Depression dürfen nur biochemische Prozesse im Gehirn relevant sein) – stammen die wichtigsten Arbeiten zur Theorie der Entzündungsreaktion aus Versuchen mit Blut.

Aber könnte es dennoch sein, dass Depressionen eine Entzündungsreaktion sind? Diese Theorie findet derzeit großen Zulauf.

Wie kam man auf diese Idee:

Die frühesten Beschreibungen dieser „neuen Idee“ stammen aus dem Jahr 1985 (Link). Damals entdeckte man Verbindungen zum Immunsystem und hatte viele Hoffnungen, über diese Verbindung neuartige Erklärungen zu finden. Viele Übersichtsarbeiten entstanden in den 1990er Jahren, zum Beispiel Michael Maes, damals an der Universität in Cleveland (Ohio) (Link) oder diese interessante Arbeit: Maes 1999

Später kam die Beobachtung hinzu, dass viele Patienten, die an Multipler Sklerose erkrankt waren, eine schwere Depression entwickelten. Der große Hype um diese Theorie begann jedoch erst als P. Galecki im Jahr 2012 entdeckte, dass viele depressiv Erkrankte erhöhte Entzündungswerte im Blut hatten (Link).

Damit war die Idee „in neuem Gewand“ erneut in der Welt. Für eigenständige Denker war es zwar von Anfang an etwas seltsam, dass bei der „Entzündungstheorie“ eine der Kernthesen der Depressionsforscher: „Depressionen sind Gehirnerkrankung“ über den Haufen geworfen wurde, da der Forscher Galecki für die Theorie die Entzündungswerte nur im Blut gemessen hatte. Im Jahr 2016 legte Nature Reviews in Immunology nach (Link), ohne dass die Argumente besser wurden.

In praktischer Hinsicht war ohnehin viel wichtiger, wie der Körper von depressiv Erkrankten auf eine entzündungshemmende Therapie (zum Beispiel mit Minocyclin) reagierte. Doch leider zeigten die Versuche bestenfalls bescheidene Resultate und häufig genug zeigten Entzündungshemmer gar keine Wirkung auf depressive Patienten (Link).  

Aus diesen praktischen Ergebnissen macht es Sinn zu entscheiden: Die Therapie ist nicht hilfreich, deshalb sollten wir, die zugrunde liegende Theorie beerdigen. Zumindest ist das eine logische Folgerung, wenn man ernsthaft daran interessiert ist, depressiven Patienten zu helfen.

Doch wenn es um Forschungsgelder geht, bemerkt man, dass auch sehr gut informierte Menschen plötzlich in „Der Spiegel“ erklären, dass sie am liebsten 40 Prozent der depressiven Patienten mit Cox-2-Hemmern behandeln würden (Link).

Und scheinbar gefällt immer noch vielen diese Idee. Zum Beispiel in dieser Arte Dokumentation (Depression – neue Hoffnung).

Warum gefällt die Idee eigentlich so vielen?

Depression-Heute: Wenn Menschen an einer schweren körperlichen Erkrankung leiden, dann entwickeln sie häufig eine Depression.

Bei Menschen, die die Diagnose Multiple Sklerose erhalten, ist es verständlich, wenn sie mit einer Depression darauf reagieren.

Dass in der aktuellen Zeit jedoch Forscher den verkehrten Umkehrschluss ziehen: Im Blut von MS-Patienten entdecken wir eine starke Erhöhung von Entzündungsmarkern (was bei Patienten mit Multipler Sklerose sehr typisch ist) und aus diesem Grund entsteht bei den Patienten eine Depression.  Dann ist das ein Gedanke … auf den man erst ein Mal kommen muss.

Es ist jedoch traurig, dass wieder einmal altes Lehrbuchwissen verloren gegangen ist.

Früher haben Ärzte depressive Patienten besonders gründlich untersucht, weil sie davon ausgingen, dass die Depression ein Hinweis auf das Bestehen einer schweren körperlichen Erkrankung sein kann. Die Depression wurde in diesem Zusammenhang als eine Art „Hilfeschrei des Körpers“ bewertet.

Doch diese gründliche körperliche Untersuchung bei einem Verdacht auf Depressionen gibt es heute nicht mehr. Aktuell verschreibt man depressiven Patienten  so schnell Antidepressiva, dass noch nicht mal eine Aufklärung funktioniert. Der Allgemeinarzt verschreibt die Mittel oftmals bereits nach wenigen Minuten. „Soll ja gut wirken und Tschüss“.

Und nun soll bei der Depression das Immunsystem eine ursächliche Beziehung spielen? Das klingt schon sehr seltsam. Jemand verliert seinen Job oder seinen Ehepartner und entwickelt eine Depression. Und was soll Schuld sein? Richtig: Das Immunsystem. Und warum soll man so etwas glauben? Etwa weil noch keine tausend Ärzte und Patienten ausprobiert haben, ob diese Mittel eine gute Wirkung auf Depressionen hat? Nein, das wurde alles schon überprüft. Depressionen sind eine so schwere Erkrankung, dass eigentlich schon immer jede Idee aufgegriffen und überprüft wird. Der Leidensdruck ist so enorm hoch, das nicht abgewartet wird.

Diese Auswertungen sind schon tausendfach erfolgt, insbesondere von der Pharmaindustrie. Die verantwortlichen Experten haben längst erkannt: Es wirkt nicht! Deswegen muss man jetzt auch nicht mehr auf spannenden Datenauswertungen von alten Cox-2-Medikamenten gespannt sein. Die Wirkung eines Wundermittels spricht sich schnell rum. Entzündungshemmende Mittel sind kein Wundermittel.

Etwas merkwürdig ist jedoch, dass mittlerweile auch diejenigen, die Forschungsfördermittel vergeben, nicht mehr den Unsinn hinter merkwürdigen Theorien erkennen. Wer heute einen Forschungsantrag über das Immunsystem und Depressionen einreicht, darf mit satten Forschungsgeldern rechnen.

Patienten werden davon nicht profitieren.

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2 Comments

  1. Viele Behauptungen. Keine Belege. Es stimmt doch einfach nicht, dass sich Pharmakonzerne auf jedes mögliche Mittel stürzen würden und es auf seine Wirksamkeit hin zu überprüfen. (Quellen?) Schon allein deshalb nicht, weil ein neues Medikament den Absatz mit alten Medikamenten drücken könnte und am Ende weniger Profit dabei herausspringen würde. So etwas zu behaupten, ist grober Unfug bzw. weil sie ein Doktor sind eine wie auch immer motivierte Lüge. Auch die Behauptung, dass in Deutschland um Forschungsgelder gefeilscht werden würde, ist irgendwie schief. In unserem Land werden so lächerliche Beträge in psychiatrische Forschung investiert, dass sich jeder niedergelassene Arzt über die Summen den A**** ablacht. Zudem ist es in der Forschung ganz normal, dass man Hypothesen aufstellt. Vor allem dann, wenn man immer noch so wenig über eine Erkrankung weiß. Das öffnet den Raum zur Diskussion. Ihr Beitrag war etwas einseitig und einfältig und insofern schon fast eine Bestätigung der Entzündungs-These.

    1. Es gab in der Vergangenheit sehr viele Möglichkeiten, die Entzündungshypothese von 1985 zu prüfen.
      PSYCHIC DISTRESS AND THE IMMUNE RESPONSE Evelyn S. Tecoma and Leighton Y. Huey (Life Science 1985)
      https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/3887082/
      Diese Möglichkeiten heißen: klinische Studien. Aber wo sind die positiven Studien? Ich kenne sie nicht.

      Bei den Medikamenten muss ich Sie leider korrigieren.
      Kein bedeutender Pharmakonzern macht mit Medikamenten, deren Patentschutz abgelaufen ist, große Gewinne.
      Ein Pharmakonzern, der auf dem Weltmarkt bestehen will, benötigt neue, innovative Medikamente. Nur diese kann der Konzern teuer verkaufen.
      Schauen Sie sich mal diesen Fall an: Was ist der chemische Unterschied zwischen Citalopram und Escitalopram? Eine Innovation ist das nicht.
      Dennoch war Escitalopram für den Hersteller sehr, sehr bedeutend. Für Escitalopram erhielt Lundbeck erneut einen Patentschutz. Und hat damit wieder sehr gut verdient.

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