Buchkritik: Antidepressiva absetzen

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Antidepressiva Absetzen

Mischa Miltenberger und Melanie Müller haben ein wichtiges und hilfreiches Buch geschrieben, das in schweren Stunden ein Freund sein kann.

Antidepressiva Absetzen

Es gibt Tipps, Wochenpläne und online-verfügbares motivierendes Zusatzmaterial. Absetzen bleibt eine schwere Angelegenheit, aber das Buch motiviert beim Durchhalten. Das E-Book kostet 19,00 Euro und hat 122 Seiten, zusätzlich gibt es Online-Material. Die gedruckte Taschenbuchausgabe hat 140 Seiten und kostet 14,90 Euro.

Was tut man, wenn man endlich weiß, dass Antidepressiva keine gut wirksamen Medikamente sind, sondern Superplacebos. Wenn man erfahren hat, dass Antidepressiva nicht vor Rückfällen schützen und eine lebenslange Therapie mehr schadet, als nützt.

Dann wächst in vielen der Entschluss, die Medikamente abzusetzen.

Aber das kann und geht leider häufig schief – vor allem – wenn man nicht richtig darauf vorbereitet ist. Das Buch bewahrt hoffenlich viele Menschen davor, eines der häufigsten Missverständnisse zu glauben, das den Wirkungsmythos von Antidepressiva seit Jahren anfeuert:

Der Patient merkt, die Tabletten helfen nicht gegen eine Depression. Der Patient lässt die Tabletten weg. Wenige Wochen später erlebt er emotionale Horrorzustände. Er geht zum Arzt und dieser sagt: Ja, warum haben Sie denn die Tabletten weggelassen. Dann nimmt der Patient wieder die Tabletten (häufig sogar mehr als vorher) und der Körper beruhigt sich wieder.

Folgendes hat sich ereignet: Es ist eine körperliche Abhängigkeit aufgetreten. Aber diese Abhängigkeit wird als Rückfall gedeutet. Die erneute Einnahme der Suchtsubstanz gilt dann als Bestätigung der guten Wirksamkeit der Antidepressiva.

Mit etwas Abstand betrachtet, kann jeder darauf kommen, dass es vollkommen unwahrscheinlich ist, dass ein Mensch dem es gut geht und der sich entschließt Tabletten wegzulassen – exakt in dieser Situation – jedes Mal einige Wochen später einen „Rückfall“ erlebt.

Aber wenn man zu dicht dran ist, glaubt man nicht, dass der emotionale Rückschlag in Verbindung mit dem Absetzen steht.

Das Buch erklärt, dass es vielen Menschen in dieser Situation sehr schlecht geht. Das kann trösten und motivierend wirken, um die schwere Zeit des Entzugs durchzustehen. Und wer noch mehr Hilfe braucht, wendet sich an das ADFD.org Forum, das ist voll mit Berichten von Schwierigkeiten beim Absetzen aber auch mit guten Tipps.

Kommen wir zurück zu dem Buch von Mischa Miltenberger und Melanie Müller. In dem Buch berichten beide ehrlich und auch schonungslos, wie schwer ihnen das Absetzen gefallen ist.

Sie erlitten Schmerzen, sie mussten isoliert leben und dennoch haben sie es geschafft. Das ist eine schöne Ermutigung. Für beide ist das Leben jetzt lebenswerter, weil Antidepressiva eben doch einen Einfluss auf die Persönlichkeit haben und häufig genug eine emotionale Verflachung auslösen.

Das Buch gibt viele Tipps, wie man sich am besten an das Absetzen wagt. Neben der Geschichte der Autoren, finden sich darin Kapitel wie „Die hilfreichsten Wegbegleiter beim Absetzen“ und eine sehr lesenswerte Darstellung über Achtsamkeit. Also weshalb dieses Verfahren eine so wertvolle Hilfe und Unterstützung sein kann.

Es gibt interessante, lesenswertes Interviews mit Monika Szelag, Mitgliedern des ADFD-Forum und dem Psychiater und Achtsamkeits-Lehrer Michael Huppertz.

Es sind auch sehr ausführliche Ernährungstipps dabei und im Bonus-Material gibt es weitere Informationen zu Ayurveda-Ernährung. Nicht sonderlich überzeugend ist allerdings ein Interview mit einem Psychiater, der in dem Buch erklären darf, dass die Serotonin-Hypothese zwar Quatsch ist, aber „Wenn man die Serotonin-Rezeptoren stärker aktiviert, dann werden Second- und Third-Messenger-Systeme angestoßen und im Zellkern andere Proteine hergestellt. Aber das betrifft nicht nur Serotonin-Rezeptoren, sondern auch alle anderen. Es ist noch gar nicht klar, welche davon für die Reduktion depressiver Symptomatik eine Rolle spielen.

Das ist kein bisschen wahrer, als die Serotonin-Theorie, es klingt nur komplizierter. Aber weil so viele Leute alles glauben, was ein Arzt gesagt hat, möchte ich es an dieser Stelle noch einmal entkräften. Es gibt keine second Messenger und auch keine Third Messenger die von Antidepressiva angestoßen werden, und es gibt auch kein unbekanntes Protein das danach hergestellt wird, das eine Depression bekämpft. Wenn es Stoffe gäbe, die zuverlässig herauf- oder herunterreguliert werden, während sich eine Depression bessert, dann wären diese Stoffe bekannt und benannt. Ich möchte dabei an die Intensität der Forschung erinnern: Es ist sogar genetisch per Punktmutation untersucht worden, ob da nicht irgendwo ein bestimmtes Gen für verantwortlich sein kann. Die Ergebnisse waren negativ.

Nein, nein und nochmal nein. Die Biochemie der Depression ist unbekannt – und abgesehen davon funktioniert Biochemie nach Minuten oder Stunden. – Nicht nach „zwei bis vier Wochen“. Insofern hätte etwas weniger „Arzt“  dem Buch gut getan. Auch bei einigen Ernährungstipps wird das Serotonin so erwähnt, als wenn es für die Entstehung einer Depression von Bedeutung wäre. Das ist natürlich genauso unsinnig.

Aber darüber kann man hinweglesen und das ist ja auch nicht das Hauptthema des Buchs. Für das Absetzen gibt es sehr gute Tipps. Es ist auch ein schöner Wochenplan dabei, den man sich ausdrucken kann. Überhaupt ist das Buch sehr schön gestaltet und besonders wichtig finde ich, dass die Autoren nicht nur über sich schreiben, sondern auch über ihre Umwelt. Trotz der schwierigen Thematik ist das Buch sehr gut lesbar.

Ich wünsche diesem ersten deutschsprachigen Absetzbuch viele Leser. Denn das Absetzen ist um einiges vielschichtiger, als man annimmt und nicht nur deshalb haben Melanie und Mischa eine wichtige Pionierarbeit geleistet. Danke dafür.

Das E-Book kostet 19,00 Euro und hat 122 Seiten, zusätzlich gibt es Online-Material. Die gedruckte Taschenbuchausgabe (Amazon) hat 140 Seiten und kostet 14,90 Euro.

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