Apotheken Umschau feiert deutsche Genforscher – Aprilscherz?

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In der April-Ausgabe der Apotheken Umschau präsentiert sich das Max-Planck-Institut für Psychiatrie (MPI) als Leuchtturm der psychiatrischen Spitzenforschung. Wenn man dem Bericht glaubt, dann stehen wir an der Schwelle zu bedeutenden Neuigkeiten und werden schon bald einen Bluttest nutzen, der nicht nur erkennt unter welcher psychiatrischen Diagnose ein Patient leidet, sondern – jetzt kommt der Knüller: welche Therapie in diesem Fall am besten hilft.

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Da schlackert der informierte Leser mit den Ohren. Haben wir nicht zuletzt ganz andere Ergebnisse gelesen? Haben nicht niederländische Forscher geschrieben, dass sie zwei Jahre lang alle verfügbaren Daten von depressiven Patienten gesammelt haben, um herauszufinden, was diese Patienten in biologischer Hinsicht von gesunden Menschen unterscheidet – und das Ergebnis war: Wir haben nichts gefunden (Link).

Haben nicht amerikanische Genforscher untersucht, welche Aussagekraft die molekularbiologischen Daten von Gensequenzen auf die Wahrscheinlichkeit haben, dass diese Person eine Depression entwickelt und das Ergebnis war: Die Genanalyse liefert keinen Hinweis, ob jemand an einer Depression erkranken wird oder nicht (Link)?

Und hat nicht zuletzt sogar das größte staatliche Institut für die Erforschung der psychischen Gesundheit beschlossen, dass künftig keine weiteren Genuntersuchungen veröffentlicht werden sollten, denen jedwede praktische Relevanz fehlt (Link)?

Und jetzt berichten deutsche psychiatrische Genforscher, dass die Zeiten ganz aufregend sind und wir kurz vor dem Durchbruch stehen?

Wie ist das möglich? Haben wir in Deutschland eine Forschung, die sich vollkommen von der internationalen Forscherlandschaft abgekoppelt hat und Ergebnisse einfährt, wie der Fußballverein Real Madrid in seiner besten Phase?

Oder …

Oder gibt es eine andere Möglichkeit?

Ja, natürlich. Die Forscher lügen. Sie haben genauso erbärmliche Ergebnisse wie die anderen psychiatrischen Genforscher und blasen ihre minimalen Ergebnisse mit so viel heißer Luft auf, dass unbedarfte Journalisten, wie die von der Apotheken Umschau, nichts davon bemerken. Diese Journalisten stellen auch keine kritischen Fragen (die man stellen würde, wenn man fachlich kompetent wäre: bitte unterscheiden Sie Relevanz von Signifikanz!). Nein, diese Journalisten geben dem Chefarzt eine Steilvorlage, die er ganz keck für seine Zwecke nutzt.

Er empört sich, wie wenig seine Forschungsergebnisse beachtet würden: „Unglaublich, stellen Sie sich vor, wir würden so bei Brustkrebs vorgehen. Man schaut, wer Zeit hat, und macht dann die Therapie, die derjenige zufälligerweise am besten kann“. (Anmerkung: … aber hat er Biomarker? Nein, die hat er nicht. Aber es gibt Biomarker bei Brustkrebs, deshalb ist der Vergleich unzulässig!)

Dann redet er von Gehirnscans und wirft mit Begriffen um sich, wie Risiko-Gene, Veränderungen im Erbgut, Stresshormone und weiteren vollständig widerlegten Hypothesen der biologischen Werte-Psychiatrie. Er schwadroniert von Bluttests („Praktisch wäre, wenn ein Bluttest ausreicht“) und verschweigt, wie viele Millionen Euro das MPI bereits für die Erforschung von Bluttests ausgegeben hat – ohne dass jemals auch nur ein einziger funktionsfähiger Test dabei herausgekommen wäre.

Gut informierte Journalisten würden den Professor fragen, mit welchen Effektgrößen er denn rechnet und ob diese höher wären als die vor 15 Jahren beschriebene jämmerliche Effektgröße von 1,5 (Kendler 2005). Zum Vergleich: Wissenschaftler, die das das psychosoziale Geschehen (also die Lebensumstände und Erfahrungen) der Patienten auf die Wahrscheinlichkeit der Ausbildung einer Depression kommen, rechnen mit Effektgrößen, die etwa acht bis zehnmal so hoch sind!

Kritische Journalisten würden fragen, weshalb der Mann im weißen Kittel überhaupt glaubt, irgendetwas Relevantes vortragen zu können, was für die Therapie von Menschen, die unter Depressionen leiden, interessant sein könnte. Und dann müsste ER liefern.

Der Forscher müsste die Frage beantworten: Welches Forschungsergebnis aus seinem Institut hat in den vergangenen 30 Jahren die Therapie oder die Diagnose von depressiven Patienten verbessert? Wenn die Antwort: „Nichts“ lautet, dann müssten noch weitere Frage gestellt werden, denn am MPI in Martinsried werden und wurden ständig „Werte“ gemessen.
Diese Frage lautet: Warum haben Sie nicht verhindert, dass das Märchen vom chemischen Ungleichgewicht, von den Botenstoffen Serotonin und Noradrenalin, die angeblich durch Antidepressiva korrigiert werden – eine so weite Verbreitung gefunden hat? Warum haben Sie es versäumt, Aufklärungsarbeit bei Ihren Kollegen zu leisten? 

Oder wäre das respektlos und ungerecht? Ist das eine Frage, die ein gut informierter Journalist stellen sollte? Kommen wir zurück zum Beginn des Artikels. Also einer anderen Frage: Was wird denn eigentlich in dem Artikel berichtet? Ist es ein neues Ergebnis oder ist es wieder nur eine Ankündigung, dass demnächst sensationelle Ergebnisse darauf warten entdeckt zu werden. Also morgen, aber bestimmt nicht heute …

Wer die Szene kennt weiß, dass biologisch orientierte Forscher seit 1989 erklären: Wir stehen kurz vor dem Durchbruch, der eine ganz neue Weltsicht offenbaren und die psychiatrische Disziplin auf eine zuverlässige biologische Basis stellen wird (Link).

Tatsächlich versucht genau dieses MPI in Martinsried sogar schon etwas länger, also seit 1987, einen Bluttest zu entwickeln, der einen Hinweis auf das Vorliegen einer Depression liefert (siehe Holsboers Antrittsrede) – aber kein einziger Test hat jemals funktioniert.

Jetzt drehen wir den Spieß einmal um: Wenn Sie sich vorstellen würden, Sie wären der Geldgeber für ein Institut, das im laufenden Betrieb einen zwei bis dreistelligen Millionen Euro Betrag verschlingt und seit 32 Jahren verspricht einen Test zu entwickeln. Und jedes Jahr, wenn man nach Ergebnissen fragt, erklären die Forscher, sie stünden kurz vor dem Durchbruch – wie würden Sie im 32. Jahr reagieren? Würden Sie voller Bewunderung über die Abbildung auf Seite 16 schreiben:

„Forscher suchen biologische Messgrößen, um besser vorhersagen zu können, welche Behandlung dem Patienten am meisten hilft.“

Tatsache ist: Wenn Sie ein Redakteur der Apotheken Umschau wären, dann würden Sie genau das tun.

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Und wenn Sie der Chefarzt dieses Instituts wären, dann würden Sie sich ins Fäustchen lachen, wie einfach es doch ist, diese Redaktion an der Nase herum zu führen. Man zieht einfach einen weißen Kittel an, hält ein Modell vom Gehirn in der Hand, kann die einzelnen Areale benennen … das reicht!

Es wird alles gedruckt, nichts geprüft und vermutlich bedanken sich die Redakteure noch für die Zeit, die sich der vielbeschäftigte Mensch für sie genommen hat.

Doch den eigentlichen Knüller liest man auf Seite 3 im Editorial. Da steht:

Eine professionelle Recherche bei ausgewiesenen Experten ihres Fachs ist die Basis aller Beiträge, die Sie in der Apotheken Umschau lesen. Damit nicht genug: Selbst jede Bildunterschrift und jedes Foto durchlaufen die strenge Kontrolle unserer fachwissenschaftlichen Redaktion, bevor Sie sie zu sehen bekommen.

Zuerst haben wir uns gefragt: Ist das jetzt der Aprilscherz vom Redaktionsleiter Hans Haltmeier? Aber dann haben wir bemerkt, dass wir ihn wieder einmal überschätzt haben und er diese Sätze vermutlich ernst meint.

Etwas später haben wir dann verstanden: Es wird alles genau so dargestellt, wie der Leser es sich wünscht: Der Leser mag keine windigen Experten, die vor allem an ihrer eigene Stellung und ihrem Geldbeutel interessiert sind. Der Leser wünscht sich Fachleute, die mit ihrem besten Wissen und Gewissen an den Ursachen von Depressionen arbeiten und dafür schluckt der Leser auch die Kröte der Ergebnislosigkeit. Wenn er gut geführt wird, akzeptiert der Leser, dass diese Forschung nun mal Zeit braucht und ist sogar überzeugt, dass diese ergebnislose Forschung weiterhin von seinen Steuern finanziert werden sollte.

Und weil der Leser so viel lieber über eine heile Welt liest, als über die Welt, wie sie tatsächlich ist, betreiben die Journalisten der Apotheken Umschau eine Hofberichterstattung und loben die Forscher (den König) für das, was er erforschen lässt, denn es ist der König, der es erforscht. Und tatsächlich kann man sich mit diesen Ergebnissen schmücken, genau wie ein Kaiser, dem seine neuen Kleider so ausgesprochen gut stehen. Hurra! Hurra?

Hätten wir gut informierte Journalisten, ohne Angst, dann würden diese ihr Gegenüber mit kritischen Fakten konfrontieren und unangenehme Fragen stellen. Aber so viel sind die Patienten dann doch keiner Redaktion wert.

Ein letztes Ärgernis dieser April-Ausgabe findet sich auf Seite 20. Über Antidepressiva ist da zu lesen: „Die Mittel machen weder körperlich noch psychisch abhängig. Die Persönlichkeit wird nicht verändert, sondern vielmehr hergestellt.“ Das erklärt – diesmal kein Psychiater (trauen die sich nicht mehr?), sondern der Apotheker André Beckmann aus Dortmund … und man fragt sich: Wie viele Patienten hat dieser „Experte“ schon beim Absetzen begleitet?

****Update Juli 2019 ******

Prof. Dr. Martin Keck, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie und Titelheld des Apotheken Umschau Berichts vom April 2019 wurde im Juli 2019 fristlos entlassen. Den Berichten zufolge würde er selber nicht wissen, worum es geht.

Die Süddeutsche Zeitung weiß mehr und schreibt, es geht um Betrug. Möglicherweise wurden Steuermittel für das Forschungsinstitut zum persönlichen Vorteil des Direktors abgerechnet. Martin Keck war von 2014 bis 2019 Direktor des MPI in Martinsried.

https://www.sueddeutsche.de/wissen/muenchen-mpi-psychiatrie-betrug-1.4545039

Interessanterweise gab es bereits im Jahr 2016 Vorwürfe bezüglich der wissenschaftlichen Arbeitsweise des Chefs:

https://www.sueddeutsche.de/bildung/plagiatsvorwurf-von-doktor-zu-doktor-1.2990928

… so viel zum Zustand des ehrwürdigen Max-Planck-Instituts für Psychiatrie im Jahr 2019, das mal ein „Stern am Wissenschaftshimmel“ war … 

 

 

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