Wie man Medikamente absetzt, lernen Ärzte nicht

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Prof. Dr. med. Asmus Finzen

von Gastautor Prof. Dr. med. Asmus Finzen

Man mag es für merkwürdig halten, wenn ein Arzt sich über das Absetzen von Psychopharmaka auslässt. Seine Aufgabe ist es doch, Medikamente zu verordnen. Ärzte lernen das. Wie man Medikamente absetzt, lernen sie nicht. In Zeiten, in denen die Langzeitmedikation nicht nur in der Psychiatrie bei vielen Krankheiten (Blutdruck, erhöhte Blutfette, Diabetes) zur Regel geworden ist, ist das ein Mangel. Und nicht ganz selten ist es fragwürdig, ob eine langzeitige Medikamentenbehandlung wirklich geboten ist. Insbesondere in der Psychiatrie kommen immer wieder Zweifel auf, die allerdings häufiger von Behandelten als von Behandelnden artikuliert werden. Viele Patienten machen die Erfahrung, dass ihre Ärzte nicht auf ihre Klagen und Wünsche hören, wenn sie meinen, man könne es doch auch einmal ohne Medikamente versuchen. 

Ich will an dieser Stelle nicht auf die Frage eingehen, wann und wie lange Psychopharmaka unter welchen Bedingungen notwendig sind oder nicht. Hier geht es darum, dass viele Medikamenten-Konsumenten aus guten oder weniger guten Gründen die Nase voll haben und die weitere Medikamenteneinnahme einstellen. Behandelnde Ärzte reagieren darauf immer noch allzu häufig verstockt. Viele drohen damit, ihre Patienten zu verstoßen – und manche tun das auch. 

Das aber ist mit den Prinzipien und der Ethik ihres Berufes nicht vereinbar. Es kann sogar ein Kunstfehler sein: Wenn ein Patient Medikamente, die er langzeitig eingenommen hat, absetzen oder reduzieren will, hat der behandelnde Arzt ihm gefälligst zu helfen – auch wenn er anderer Meinung ist. Er kann ihm davon abraten. Er ist sogar verpflichtet, aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen den Patienten darüber aufzuklären, welche Risiken dieser durch den Verzicht auf seine Medikamente auf sich nimmt. Der Patient entscheidet. Wenn der Arzt ihn beraten hat, ist der Patient frei, auch Entscheidungen zu treffen, die der Arzt für unklug hält. Selbst wenn die Entscheidung »dumm« ist, kann der Arzt letzten Endes nichts tun, als ihm dabei zu helfen, dass er dabei keinen Schaden nimmt. 

Der Patient nimmt dann die Risiken, die damit verbunden sind, in Kauf. Der Arzt kann dazu beitragen, diese zu vermindern, indem er die Phase des Absetzens begleitet, um auf diese Weise unnötige Risiken zu minimieren. Denn jeder, der länger Medikamente, insbesondere Psychopharmaka, eingenommen hat, sollte unbedingt vermeiden, von heute auf morgen mit der Einnahme aufzuhören. Es bedarf einer Strategie der allmählichen Dosisreduktion, bis schließlich nach Wochen bis Monaten ganz auf die Medikamente verzichtet werden kann. Den Plan dazu sollte der Patient gemeinsam mit seinem behandelnden Arzt ausarbeiten können. Selbst wenn dieser mit seiner Warnung recht hat, kann das Ergebnis eines Absetzversuches sinnvoll und fruchtbar sein. Er kann die Voraussetzung dafür sein, im Gespräch über die künftige Behandlung ein gemeinsames Konzept zwischen Arzt und Patient zu entwickeln. 

Prof. Dr. med. Asmus Finzen, Psychiater in Deutschland und der Schweiz

Der Text wurde erstmals in Soziale Psychiatrie 02/15 S. 16 veröffentlicht und erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors

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Ausgrenzungsphänomene sind in der Gesellschaft an vielen Stellen zu beobachten. Die Begriffe „normal“ und „nicht normal“ stehen oft für „nachvollziehbar“ und „unverständlich“, aber auch für „seelisch gesund“ und „psychisch krank“. Angesichts dieser Ungenauigkeit lohnt es sich, die soziale Seite des Normalitätsbegriffes genauer zu betrachten. Welche normativen Konzepte liegen psychischer Gesundheit und Krankheit zugrunde? Was ist eigentlich „normales“ Verhalten?

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