10.000 beraten und beim Absetzen von Antidepressiva geholfen
Die amerikanische Internetlegende Altostrata hat unter ihrem echten Namen „Adele Framer“ einen wissenschaftlichen Aufsatz veröffentlicht. Das Paper ist im Journal Therapeutic Advances in Psychopharmacology erschienen und ist dort frei zugänglich (also nicht hinter einer Bezahlschranke versteckt, auch als PMC Volltext verfügbar). Es ist mit 204 wissenschaftlichen Quellen mehr als umfangreich belegt.
Altostrata beschreibt darin zunächst ihren persönlichen Leidensweg, der im Jahr 2004 nach einem Wechsel auf das Antidepressivum Paroxetin begann. Damals, so schreibt sie, war sie 50 Jahre alt und in einer ausgezeichneten körperlichen Verfassung.
Es folgte ein jahrelanges Martyrium. Erst zwei Jahre später, nach unzähligen Facharztterminen und Fehldiagnosen, bestätigte ihr ein Psychiater, dass es sich bei nicht um einen Rückfall handeln müsse, sondern dass manche Patienten eine sehr lange Zeit unter Entzugssymptomen leiden.
Ihrem Bericht zufolge, dauerte es insgesamt 11 Jahre, bis sie wieder vollständig hergestellt war. Der Entzug, erklärte die in San Francisco wohnhafte ehemalige Erstellerin von Informationssystemen, habe ihre Berufstätigkeit zerstört und viele private Beziehungen. Das Akutstadium ihrer Erkrankung beziffert sie auf 1,5 Jahre, in denen buchstäblich nichts bei ihr funktionierte. Insgesamt dauerte die schwere Zeit vier Jahre. Die Zeit des Entzugs erlebte sie als Transformation, aus der sie als „weißhaarige Rentnerin“ herauskam.
Im Jahr 2011 gründete sie das Internetforum SurvivingAntidepressants.org in dem sie gemeinsam mit vielen ehrenamtlichen Helfern kostenlos Hilfestellungen gibt.
Aktuell hat das Forum jeden Monat 500.000 Aufrufe und 33.000 Besucher. 6000 Mitglieder haben in dem Forum ihre langwierigen Leidensgeschichten beschrieben. Altostrata schreibt: „Die Erfahrungen dieser Individuen sind ein starker Indikator für die Kluft, die zwischen dem klinischen Umgang mit Psychopharmaka herrscht und den Erfahrungen, die diese Medikamenten bei den Patienten verursachen.“ Sie geht davon aus, dass bis zu 40 Prozent aller Menschen, die Psychopharmaka verschrieben bekommen, ähnliche Erfahrungen machen.
Als gemeinsames Merkmal ihrer Forenmitglieder beschreibt sie Angst vor Entzugssymptomen und das Gefühl von dem behandelnden Arzt nicht ernst genommen zu werden. Viele würden ihren Verschreibern misstrauen.
Ihrer Ansicht nach können sämtliche Medikamente körperliche Entzugssymptome auslösen. Es gibt keine Medikamente, bei denen ein Patient sicher vor einer eventuellen Abhängigkeit ist.
Damit die Absetzsymptome zu ertragen sind, schlägt sie das Ausschleichen in 10 Prozent Schritten vor und empfiehlt bei Schwierigkeiten die Absetzgeschwindigkeit zu verlangsamen oder die Dosierung anzupassen.
Schwierig wäre es für die Betroffenen stets, wenn ihre Entzugsbeschwerden als Rückfall (Relapse) der Erkrankung gedeutet würden. Da dies hilfreiche Therapieschritte verhindern würde.
Insgesamt wünscht sie sich mehr Interesse und mehr Hilfestellung von denjenigen, die die Medikamente verschreiben und zeigt sich auch nach all den Jahren überrascht, dass noch nicht einmal die Suchtmediziner auf das Thema reagiert haben und immer noch keine Hilfestellung bieten.
Sie hofft, dass sich die Situation für die Betroffenen durch die Aufnahme des „Antidepressant Discontinuation Syndrome“ 995.29 (T43.205A) im amerikanischen Diagnosebuch der Psychiatrischen Erkrankungen, dem DSM-5, bessert. Aktuell fehle jedoch noch eine anerkannte Behandlung für dieses Syndrom.
In Deutschland hilft das ADFD.org -Forum bereits seit 2003 ehrenamtlich Patienten beim Antidepressiva-Entzug (hier geht es zum ADFD-Forum)